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Die Corona-Pandemie wirft zahllose Fragen auf und stellt uns vor die Aufgabe, unser Handeln und Denken neu zu definieren. Gert Scobel zeigt, dass wir lernen müssen, klug mit dem umzugehen, was wir wissen, und weise im Umgang mit dem Nichtwissen zu werden. Dazu gehört es, sich der Vergänglichkeit des eigenen Lebens bewusst zu bleiben, genauso wie zu begreifen, dass wissenschaftliche Zahlen und Fakten nicht alles sind.

Welches Wort fasst all das, was geschieht, am besten zusammen und bringt es auf den Begriff? Weisheit? Achtsamkeit? Wohl kaum. Eher schon Pan-Demie: ein Ereignis, welches das gesamte (pan) Volk (demos), also alle Menschen auf dem Erdball, erfasst. Tatsächlich neu und historisch einmalig ist an dieser Pandemie, dass sie wie kein Ereignis der Menschheitsgeschichte zuvor alle Menschen global und zeitgleich erfasst hat. So unterschiedlich wir auch sind: Wir sind getroffen von der gleichen Gefahr und können in Echtzeit voneinander wissen, was uns jeweils widerfährt. Kein Ereignis der Moderne hatte diese Qualität, denn selbst bei 9/11 war die Form der Betroffenheit in New York eben doch eine andere als im südhessischen Wildsachsen. Zugleich ist Corona nicht hyperreal wie die medial vermittelten Bilder der Twin Towers, sondern im Alltag greifbar.

Doch so real die Pandemie auch ist – sie lässt begründete Prognosen über ihren weiteren Verlauf kaum zu – weder für den Einzelnen noch für eine bestimmte Gesellschaft oder die globale Gemeinschaft. Fakt ist, dass wir zu wenig wissen. Immer noch. Während auch ältere Menschen die Erkrankung einigermaßen schadlos überleben können, sterben andere, die wesentlich jünger sind. Die tatsächliche Infektionsrate können wir bis heute ebenso wenig ermitteln, wie wir auch nach Monaten kaum Verlässliches über die bleibenden Schäden nach einer überstandenen Erkrankung wissen – von den ökonomischen, sozialen und gesellschaftlichen Problemen, die erst noch auf uns zukommen, gar nicht zu reden.

Was also wäre ein gutes Wort dafür, die richtige Überschrift? Globale Krise vielleicht? Oder besser „Weltweite Ungewissheit“? Angst? Großes Nichtwissen? Oder im Gegenteil vielleicht eher „Einheit“ – denn auch das bringt die Pandemie ja hervor: ein neues Gefühl der Gemeinsamkeit, der Nachbarschaftlichkeit und Verbundenheit mit der inzwischen sogar schmerzlich vermissten (in guten Zeiten aber belächelten, wenn nicht sogar verachteten) „Herde“, die gegenwärtig nicht nur um ihre Immunität kämpft, sondern zugleich auch einen neuen, positiven und in neoliberalen Zeiten ungewohnten Zusammenhalt erlebt, begleitet von den Möglichkeiten globaler Kommunikation, die dieses Gefühl in den Köpfen und Herzen der Individuen verankert. Wäre das Wort also: Solidarität?

Die Aufgabe philosophischer Reflexion besteht seit Hegel darin, die eigene Zeit gedanklich zu erfassen – und man könnte hinzufügen: all die Bilder einer Zeit, die Texte und Techniken, die Wissenschaften, die Krisen, Gefühle, Interviews, die Nöte und die Größe einer Zeit. Wer all dies erfassen will, sollte ehrlicherweise gleich ein Bekenntnis ablegen: das Bekenntnis, über all das niemals akkurat, vollständig und wahrheitsgetreu sprechen und die Zusammenschau, die dieses Erfassen doch wäre, niemals leisten zu können. Wenn die Krise eines zeigt, dann dies: das Erfassen dessen, was gerade geschieht, kann in seiner gesamten Komplexität nicht nur nicht verstanden, sondern auch nur sehr bedingt, wenn überhaupt, gelenkt und gesteuert werden. Ein Verstehen dieser Komplexität kann sich, wenn überhaupt, nur im Nachhinein annähernd zufriedenstellend einstellen. Aber in der Zukunft sind die Klügeren ohnehin immer klüger als sie es jetzt sind.

 
 

Dieser Artikel stammta ausAtasperu ptaecestiumIqui volorero te estia sam, quia

„Zunächst begegnen
wir der Realität
mit Ungläubigkeit
und Verdrängung,
ehe wir uns ihr
ernsthaft nähern,
uns anpassen, an die
neue Lage gewöhnen
und vielleicht sogar
lange durchhalten –
bis wir eines Tages
mehr oder minder
ängstlich feststellen,
dass vieles noch ganz
anders kommen
wird.“

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