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Homeschooling ohne Stress: Ein Schülercoach gibt Tipps

Zwischen Quarantäne, Homeschooling und Hybridunterricht liegen inzwischen die Nerven vieler Eltern blank. Eine „Schulzeit ohne Stress“, wie sie Psychologe Andreas Winter in seinem gleichnamigen Buch verspricht, klingt da wie ein Traum. Was können Eltern konkret tun, um in dieser Situation Entspannung zu schaffen? Unsere Redakteurin Miriam Münch hat dazu mit Darius Sobhan-Sarbandi, Schülercoach im Team von Andreas Winter, gesprochen.

Herr Sobhan-Sarbandi, warum erleben so viele Schülerinnen und Schüler – und ihre Eltern – die Schulzeit als stressbelastet?

Das liegt daran, dass die klassische Schule nicht unbedingt ein Ort ist, wo es um das Lernen geht. Es geht darum, Dinge zu wiederholen und sich anzupassen. Wenn das auf die Spitze getrieben wird, dann passiert, was viele kennen: die Kinder oder Jugendlichen haben keine Lust mehr auf die Schule. Und weil sie das noch nicht in dieser Form verbalisieren können, zeigt sich das vielleicht mit störendem Verhalten. Oder mit Verweigerung. Dabei wollen sie der Umwelt nur vermitteln: Mir geht es hier nicht gut. In Wirklichkeit sind wir es aber, die unseren Kindern in der Schule das Lernen vermiesen. An diesem Punkt setzen wir auch im Schülercoaching an: Was ist überhaupt Lernen und wie funktioniert es? Denn Lernen ist etwas, was wir Menschen von Natur aus gerne tun. Um gut zu lernen, brauchen wir nur 3 Dinge: Relevanz, Begeisterung und Gelassenheit.

Was bedeutet Relevanz? Der Lernstoff ist ja meist vorgegeben.

Das ist die Frage, wofür ich das in meinem Leben brauchen könnte. Dafür treten wir im Coaching z.B. einen Schritt zurück und fragen: Was ist überhaupt Mathematik und wofür ist sie wichtig? Anstatt gleich mit der Integralrechnung anzufangen. Wenn ich den Sinn von etwas verstehe, fällt auch das inhaltliche Lernen leichter.

Was raten Sie den Eltern, die sich während Corona plötzlich unfreiwillig in der Rolle der Lehrerinnen und Lehrer wiederfinden?

Zunächst einmal finde ich es gar nicht so verkehrt, dass die Schülerinnen und Schüler eine Weile raus sind aus dem Schulalltag.
Gerade ältere Schülerinnen und Schüler haben jetzt die Möglichkeit, sich selbständig an den Stoff anzunähern und zu fragen: Warum ist das für
mich wichtig? Und zu Mutter und Vater in der Lehrer-Rolle: Das ist doch eine ganz natürliche Rolle. Wir sind im Grunde ab Tag 1 Lehrerinnen und Lehrer für unsere Kinder. Wir sind es nur gewohnt, das schulische Lernen an die Schule zu delegieren. Es ist völlig klar, dass Eltern beim
Homeschooling an ihre Grenzen kommen und da ist es auch keine Schande sich Unterstützung zu holen.

Es kann aber helfen, wenn wir unsere Perspektive ändern: dass wir nämlich sehr viel von den Kindern lernen. Wir wissen im Gegensatz zu ihnen nämlich nicht, wie es ist, in dieser Welt heute aufzuwachsen. Das heißt, wir müssen weg von dieser „Besserwisser-Kultur“, wo die Erwachsenen den Kindern und Jugendlichen sagen, was sie wie zu lernen haben. Damit züchten wir unreife Menschen heran und vergeben die Chance,voneinander zu lernen. Mit dieser Haltung des Miteinanders kann ich jungen Menschen auch eher Unterstützung beim Lernen anbieten, ohne dass sie in Widerstand gehen.

Ob im Homeschooling oder im Präsenzunterricht: Was kann ich
konkret tun, damit mein Kind möglichst stressfrei durch seine Schulzeit kommt?

Es geht darum den Kindern einen Freiraum zu schaffen. Das heißt, gemeinsam zu überlegen, wie das System funktioniert und wie wir damit am besten umgehen. Dazu gehört z.B. sich genau anzuschauen, wie Notengebung stattfindet. Die findet nämlich im Kopf des Lehrers oder der
Lehrerin statt. Noten spiegeln in der Regel nur wider, ob ich in der Klausur das hingeschrieben habe, was der Lehrer oder die Lehrerin vorher
unterrichtet hat. Nicht meinen Wert als Person oder meine Fähigkeiten.
Wenn man diese Spielregeln einmal durchschaut hat, dann können wir zusammen Strategien entwickeln. Wenn z.B. das Ziel meines Kindes ist,
gute Noten zu haben, dann können wir schauen: Was muss ich tun, um gute Noten zu haben? Wann im Unterricht muss ich genau aufpassen, weil der Lehrer da das erklärt, was er in der Klausur hören will? Das ist dann eine Anpassung an das System, aber eine freiwillige. Oder wir sagen gemeinsam: Noten sind nicht wichtig, das Leben fängt eh erst nach der Schule an. Dann nehmen wir das gelassen hin, aber als eigene
Entscheidung.

Die Haltung der Eltern spielt also eine große Rolle?

Ja, genau. Die Schule ist ein Spiel und es ist wichtig die Spielregeln zu kennen. Es kann durchaus Spaß machen, dieses Spiel mitzuspielen, aber als freier mündiger Mensch – und nicht als jemand, der kleingemacht wird. Für Eltern ist es ganz wichtig, statt Druck und Stress zu machen, immer wieder mit dem Kind zusammen nach der Relevanz zu fragen: Wozu könnte das in deinem Leben gut sein? Ich habe z.B. mal mit einem Jungen gearbeitet, der hatte Probleme mit Englisch. Der hat aber davon geträumt, ein Tierforscher zu werden. Zusammen haben wir dann herausgefunden, dass er dann auch gerne seine Forschung vor vielen Menschen vorstellen würde z.B. auf einem großen Kongress. Dann habe ich gefragt: Mit welcher Sprache erreichst du viele Menschen aus verschiedenen Ländern? Und schon war für ihn eine Relevanz da, Englisch zu lernen.

Wie würde aus Ihrer Sicht eine ideale Schule aussehen?

Eigentlich müsste die Schule ein Ort zum Lernen und Ort der persönlichen Weiterentwicklung sein. Zumindest letzteres findet derzeit überhaupt nicht statt – oder fällt durch Homeschooling oder
Hybridunterricht weg. Die ideale Schule müsste ein Ort sein, wo wir Kindern und Jugendlichen auf Augenhöhe begegnen und wo sie lernen, wachsen und spielen. Spielen heißt ja zunächst einmal, dass ich mich begeistert mit Inhalten auseinandersetze.

Wir brauchen einen Systemwandel hin zu einer
Schule, in die auch die Lehrerinnen und Lehrer wieder gerne hingehen. Der vollzieht sich nur langsam. Ich bin aber sehr optimistisch in Bezug
auf jüngere Generation und das ist ganz wichtig: dass wir Vertrauen unsere Kinder haben. Dass wir sagen: Ich glaube, dass du jemand bist, der die Welt zu einem besseren Ort macht.

Treibt die Pandemie-Situation aus Ihrer Sicht die Weiterentwicklung der Schule voran?

Auf jeden Fall ist es eine Situation, in der wir alle gezwungen sind, einen Schritt zurückzugehen und innezuhalten. Und auch einmal zu fragen: Wie wollen wir in Zukunft Schule leben? Wie wollen wir mit unseren Kindern lernen? Und wir sehen gerade: wir können nicht vorhersehen, wie die Welt in der Zukunft aussieht. Die Zukunft ist immer unsicher. Deshalb bringt es nichts, die Kinder zu unterminieren und ihnen Wege  aufzuzwingen, die wir für vermeintlich sicher halten. Es geht darum, sie zu ermächtigen, dass sie mit einer inneren Sicherheit in eine ungewisse Zukunft gehen. Das ist ganz wichtig.

Herr Sobhan-Sarbandi, vielen Dank für das Gespräch.

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