Moment by Moment

Im Gespräch mit Trudy Goodman

Vor 20 Jahren hat Trudy Goodman InsightLA gegründet. Schon zu Beginn stieß Christiane Wolf zum Team hinzu und gehört heute zu den wichtigsten Lehrerinnen von InsightLA sowie zum engsten Freundeskreis von Trudy Goodman. In diesem sehr persönlichen Interview spricht die bekannte Meditationslehrerin über ihre eigenen Erfahrungen mit dem Älterwerden, über eine Nahtoderfahrung sowie darüber, was ihr auf ihrem Weg Halt gibt.

Interview: Christiane Wolf | Fotos: Laura Grier

Alter, Krankheit und Tod gehören zum Kern der buddhistischen Lehre, und das Alter ist eines der fünf Grundleiden. Wie gehst du als buddhistische Lehrerin damit um?

Ich spreche mit den Menschen darüber. Ich halte es für wichtig, dass wir uns über Krankheit, Alter und Tod austauschen, denn diese Erfahrungen macht jeder. Je mehr wir uns für den Austausch öffnen, desto mehr können wir uns zusammengehörig fühlen, statt isoliert zu sein oder uns zu schämen, als wäre es ein persönliches Versagen, an Krebs zu erkranken oder zu sterben. Ich kenne einen Lehrer, der im Sterben liegt. Er ist in einem Hospiz und möchte nicht, dass die Leute davon erfahren. Und er will nicht, dass sie wissen, dass er sich wahrscheinlich dafür entscheiden wird, nicht mehr zu essen. Ich habe ihm gesagt: „Niemand würde das beschämend finden, wenn du große Schmerzen hast und es keine Aussicht auf Heilung oder Besserung gibt.“ Wenn diese Fragen weniger tabuisiert wären, würde das die Angst reduzieren.

Tatsächlich ist der Tod doch ein großes Mysterium, das Mysterium des Nichtwissens: Wir kennen den Zeitpunkt nicht und wissen nicht, was während des Sterbens oder danach geschehen wird. Wenn es für unser Bewusstsein oder unseren Geist ein wie auch immer geartetes Leben nach dem Tod gibt, dann ist es sinnvoll, das bestmögliche Leben zu führen, damit wir uns nicht mit Schuldgefühlen, Reue und allen möglichen Sorgen belasten und sie, wenn wir sterben, in jenes Bewusstsein hineintragen. Und wenn wir wüssten, dass dies das einzige Leben ist – natürlich ist es das einzige Leben in dieser Form, das wir leben dürfen –, wäre es nicht auch dann sinnvoll, es zum besten Leben zu machen und es so gut und liebevoll wie möglich zu führen? Der Weg ist, dass wir die Qualitäten der Liebe, des Mitgefühls, der Freude, des Gleichmuts, der Dankbarkeit und der Wertschätzung so weit wie möglich entwickeln, sodass wir, wenn das Leben schwierig wird, was unweigerlich der Fall sein wird, diese Ressourcen haben, die uns Halt geben.

Hast du Angst vor dem Tod? Wenn ja, wie gehst du damit um?

Vor 27 Jahren wurde ich von einem Auto angefahren. Ich ging über einen Zebrastreifen, es war eine regnerische Nacht und ich hatte die Kapuze übergezogen. Ein Wagen näherte sich, aber der Fahrer hatte sich hinabgebeugt, um sich eine Zigarette anzuzünden, und sah mich nicht. Mein Körper flog durch die Luft. Im Moment des Aufpralls, mit den Scheinwerfern und dem Geschleudertwerden, dachte ich, ich würde sterben. Ich fühlte ein gigantisches „Nein!“ in jeder Zelle meines Körpers. Erstaunlicherweise schien die Zeit auf einmal langsamer zu vergehen. Sehr viele Eindrücke schossen mir durch den Kopf, etwa: „Oh, dieser Körper will nicht sterben.“ Das ist physisch, biologisch. Es ist nichts, was man denkt. Ich hatte noch viele andere Gedanken, während ich durch die Luft flog. Einer davon war sehr lustig. Ich lag auf dem Rücken, schaute nach oben und dachte: „Das ist ja wie bei Mary Poppins!“ Und dann kam auch schon der nächste Gedanke.

Während wir auf den Krankenwagen warteten, hatte ich das Gefühl, aus meinem Körper hinauszuschweben und auf die ganze Szene hinabzuschauen. Ich konnte meine Nachbarn sehen, die aus ihren Häusern gekommen und alle sehr aufgeregt waren. Ich konnte meinen Körper sehen und den Mann, der mich angefahren hatte. Er weinte, und ich hatte starkes Mitgefühl mit uns allen. Und ich hörte eine Stimme, die unmissverständlich sagte: „Wir konnten den Unfall nicht verhindern, aber wir haben deinen Sturz abgefedert.“ Ich hatte natürlich zahlreiche Knochenbrüche und alle möglichen Prellungen. Ich war auf dem Rücken gelandet, sodass er sehr schwer verletzt war. Die einzige Stelle ohne Blutergüsse war mein Kopf. Niemand konnte sich erklären, wie man auf dem Rücken landen kann, ohne mit dem Kopf auf dem Pflaster aufzuschlagen.

Diese Erfahrung hat mein Denken und mein Herz für die Möglichkeit anderer Erfahrungsdimensionen geöffnet, die für uns in unserem normalen Leben unsichtbar sind, aber im Sterben sichtbar werden können. Und sie hat mir geholfen, nicht so viel Angst vor dem Sterben zu haben. Wenn ich sage: „Ich werde sterben“, ich stelle mir das wirklich vor, dann hat natürlich mein ganzer Körper Angst, aber das ist der Körper, der nicht sterben will. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass es einfach ist. Ich habe Menschen beobachtet, es ist ein bisschen wie bei den Wehen. Aber ich habe keine Angst davor.

Erst viele Jahre später habe ich darüber gesprochen. Es hilft mir, aber selbst wenn ich diese dramatische Nahtoderfahrung nicht gemacht hätte, würde mir meine Meditationspraxis helfen. Denn ich weiß, wie ich mich stabilisieren kann, wie ich mit dem, was passiert, präsent sein kann, selbst mit beängstigenden Dingen. Und ich weiß, wie ich mir selbst und anderen Liebe und Mitgefühl entgegenbringen kann. Ich glaube, das wird im Moment des Todes helfen. (…) Mehr

Diese Leseprobe endet hier. Möchten Sie weiterlesen? Unsere Ausgabe „Die Zeit meines Lebens und warum unser Alter keine Rolle spielt“ können Sie bequem online bestellen.
 

Zur Ausgabe „Die Zeit meines Lebens“ im Shop

Scroll to Top