Niemand erzählt so witzig und charmant vom Darm und seinen Aktivitäten wie Giulia Enders. Vor knapp zehn Jahren begeisterte sie als Medizinstudentin ihr Publikum in einem Science Slam, der auf YouTube viral ging, und schrieb ein Buch, das zum Bestseller wurde. Lesen Sie hier, welche Rolle ihre Schwester dabei spielte und welche neuen Erkenntnisse über das zu Unrecht tabuisierte Organ die junge Ärztin heute faszinieren: unser „Darm-Hirn“ und wie der Darm unsere Gefühls- und Gedankenwelt beeinflusst.
Text: Sarina Hassine | Fotos: Matthias Stark
Giulia Enders’ Faszination für das Thema Darm blühte richtig auf, als ein Mitbewohner ihrer Studenten-WG in die Küche kam und fragte: „Giulia, du studierst doch Medizin: Wie geht eigentlich kacken?“ Eine berechtigte Frage, wie sie findet. Und so klärt sie ihr amüsiertes Publikum gerne zum Beispiel praktisch darüber auf, dass es leichter ist, unser großes Geschäft zu verrichten, wenn wir dabei den Oberkörper etwas nach vorne beugen und die Füße auf einen Hocker stellen. Die Muskeln können sich dann besser entspannen, da unser Darmverschluss-Apparat nicht so geschaffen ist, dass er sich im Sitzen vollständig öffnet.
Dies ist eine Information, die für viele vollkommen neu ist und hängenbleibt. Trotz der Tatsache, dass unser Stuhlgang immer noch ein Tabuthema ist. Das musste Giulia auch bei einem Kaffeekränzchen mit ihren drei Tanten erfahren, die zunächst mit betretenem Schweigen auf die Offenbarung ihrer Nichte reagierten, dass sie nach dem Studium Darmspezialistin werden wolle. Denn über das Kacken spricht man nicht … Das hat Giulia Enders nicht nur im Familienkreis geändert, sondern auch in der Öffentlichkeit, indem sie uns einen neuen Blick auf unser etwa sieben Meter langes Verdauungsorgan ermöglicht hat. Es hat sicher den ein oder anderen inspiriert, sich mit Themen wie Darmreinigung, Allergien und Probiotika zu beschäftigen – oder sich eben einen Toilettenhocker bereitzustellen.
Kefir & Co
Als sie 17 war, hatte sie einen hartnäckigen Hautausschlag. Damals fing sie an, alles Mögliche auszuprobieren, las in der Bibliothek Bücher über Kefir & Co, bis sie schließlich bei Büchern über den Darm landete. „Als ich merkte, dass ich darüber bis in den Abend hinein gern lese, beschloss ich, Medizin zu studieren.“ Besonders, weil der Darm und seine diversen Funktionen damals weitgehend wissenschaftliches Neuland waren.
Nach ihrem Erfolg beim Science Slam, zu dem ihre Schwester Jill mit ihren informativen und zugleich witzigen Zeichnungen maßgeblich beigetragen hatte, reifte der Plan, ein Buch zu schreiben. „Ich wollte unbedingt davon erzählen, welche Experimente und Überlegungen existierten – hatte gleichzeitig aber Angst, zu früh falsche Hoffnungen zu wecken oder Halbwahres zu schreiben“, so Giulia Enders. „Als ich an einem grauen Donnerstag schniefig bei meiner Schwester am Küchentisch saß, mit der Sorge, dass ich es nicht schaffen würde, den Text akkurat und anschaulich genug zu schreiben, sagte sie irgendwann fast befehlend zu mir: ‚Jetzt schreibst du einfach über das, was du selbst von alldem verstanden hast – und wenn es in den nächsten Jahren konkretere Infos gibt, dann kann man das sicher auch noch dazuschreiben.‘“ Jill Enders war es auch, die Giulia motivierte, überhaupt zum Science Slam anzutreten und ihrem Weg zu folgen. Und den Titel Darm mit Charme durchzusetzen, den der Verlag damals durch Glück im Bauch ersetzen wollte. Glücklicherweise, denn mehr als eine Million verkaufte Exemplare und der Titel „erfolgreichstes Sachbuch 2014“ geben den beiden Schwestern recht. (…) Mehr