fbpx

Moment by Moment

Anna Paul: Von Herzen für sich selbst einstehen

Die Pionierin der Mind-Body-Medizin Anna Paul spricht mit uns über die Kraft der Selbstverantwortung und die Bedeutung der inneren Haltung für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden. Sie zeigt, wie wir durch gezielte Reizregulation und Atemtechniken neue Stärke und Selbstwirksamkeit entwickeln können – und wie wir lernen, inmitten von Herausforderungen „vom Herzen für uns einzustehen“.

Interview: Stefanie Hammer | Foto: Stephanie Wolff

Inwieweit liegen Gesundheit und Krankheit in unserer Hand?

Mit unserer Art zu leben beeinflussen wir in hohem Maße, ob und wie unser Körper reagiert. Besonders ist das beim Stresssystem zu erkennen. Das heißt aber nicht, dass wir selbst schuld sind an einer Krankheit. Wir haben unser Leben und besonders auch familiäre Umstände nicht in der Hand. Auch nicht, wie wir auf die Welt kommen oder welche Prädispositionen wir schon im Mutterleib in uns tragen. Aber ab einem Alter von etwa 20 Jahren sind wir ein Stück weit für uns selbst verantwortlich. Diese Verantwortung gibt uns ja auch die Freiheit, für uns zu entscheiden, für uns einzustehen. In der Literatur sprechen wir da von der Selbstwirksamkeitserwartung, dem Vertrauen in unsere Fähigkeit, etwas zu schaffen, auch unter widrigen Bedingungen. Daran kann man arbeiten.

Viele Menschen, die zu uns kommen, sagen: „Na ja, ich bin zwar krank, aber ich versuche, gut zu leben.“ Die Fragen sind also: Welche Haltung nehmen wir gegenüber Krankheit und Gesundheit ein? Was bestimmt unsere Lebensqualität? Wie will ich leben, wie möchte ich mit anderen Menschen sein, wie kann ich meine Ideen im Leben und bei der Arbeit umsetzen? Krankheit kann durchaus ein Teil davon sein.

Diese Zusammenhänge beschreibt das wunderbare Kontinuumskonzept von Aaron Antonowsky, das HE-DE-Modell (bei dem HE für health-ease bzw. völlige Gesundheit und DE für dis-ease, also für völliges Kranksein steht, die Red.). Wir bewegen uns hin und her auf diesem Kontinuum und können es dazu nutzen, unseren Fokus gezielt auf die gesünderen Anteile in uns zu legen.

Das, was mich seit meiner Kindheit beschäftigt, ist der Fokus auf Leben, auf die Natur, auf das Erblühen. Und das andere, was mich schon immer beschäftigt, ist der Seelengrund. Ich glaube, dass wir Menschen, wenn wir uns immer wieder mit unserem Seelengrund verbinden, einfach gesund sind, selbst wenn wir krank sind.

Die Begriffe Gesundheit und Krankheit sind also ein komplexes Thema – denn was sind sie eigentlich? Eine Geschichte, die ich meinen Patienten immer wieder gern erzähle, um das zu verdeutlichen, handelt vom Dalai Lama. Er hatte ganz offensichtlich einen Bandscheibenvorfall und ein Journalist sagte zu ihm: „Oh, Sie müssen unter ganz furchtbaren Schmerzen leiden.“ „Na ja“, antwortete Seine Heiligkeit, „ich habe Schmerzen, aber ich leide nicht.“

 

In dieser Haltung, dieser Perspektive liegt auch die Freiheit, die wir haben?

Richtig, das wäre die Freiheit, die wir haben sollten. Ich habe bewusst den Konjunktiv gewählt, weil wir das oft nicht mehr sehen, nicht mehr spüren können. Unter Stress hat man die Freiheit nicht mehr, weil sich der Fokus verengt und man, wie man sagt, „im Tunnel“ ist. Das ist ein biologischer Vorgang, der sich aber von unserem Geist beeinflussen lässt. Es ist eine Frage des Umgangs damit. Wenn ich weiß, dass ich Stress habe und sich mein Fokus verengt, dann gibt es ein probates Gegenmittel. Und das heißt Atmen! Sich ganz einfach mit dem Atem und dem Jetzt verbinden. Das tun Kinder von einer Sekunde auf die andere, und wir Erwachsenen verlernen es seltsamerweise nach und nach.

Ich werde immer wieder gefragt: „Wie muss ich denn richtig atmen?“ Wobei es eigentlich um die bewusste Wahrnehmung der Atmung geht. Viele Patienten haben keinen Hintergrund wie Meditation, Achtsamkeitstraining oder Mind-Body-Medizin, sondern wollen einfach nur behandelt und gesund werden. Manche von ihnen haben sich noch nie mit sich selbst beschäftigt, und sobald wir mit Atem- und Achtsamkeitstechniken arbeiten, die wir Schritt für Schritt mit ihnen üben, können sie erleben, wie sich der Raum weitet. Das ist dann auch der Zeitpunkt, an dem wir ihnen dieses Modell erklären, dass man durch Achtsamkeit den Raum zwischen Reiz und Reaktion erweitern kann. Dann fangen sie an, tief Luft zu holen, und es wird spürbar, dass sie diesen Raum wahrnehmen.

 

Wenn sich ein Mensch noch nie mit sich selbst beschäftigt hat, wie kann er dann seine eigene Selbstwirksamkeit entwickeln?

Es gibt Menschen, die haben eine hohe Selbstwirksamkeit und haben sich dennoch nie mit sich selbst beschäftigt. Das sind zum Beispiel die typischen Karrieremenschen. Bei Ärztinnen und Ärzten muss die Selbstwirksamkeitserwartung sehr hoch sein, sonst würden sie sich das anstrengende Studium gar nicht zutrauen. Diese Menschen haben eine Resilienz nach dem Motto „Hinfallen, aufstehen, Krönchen richten, weitergehen“. Dabei sind sie sich dessen oft gar nicht bewusst. Deshalb haben sie manchmal Schwierigkeiten, mit Patienten umzugehen, die kaum eine Selbstwirksamkeitserwartung haben. Wenn sie dann so einem Patienten raten: „Sie müssen sich mehr bewegen“, oder: „Sie müssen sich anders ernähren“ – dann wundern sie sich, dass das nicht angenommen wird.

Die Selbstwirksamkeit gilt es wieder aufzubauen, wenn sie durch das Leben reduziert oder vielleicht erst gar nicht richtig gefördert worden ist – wobei wir ja eigentlich damit auf die Welt kommen.

Sich mit sich selber wohlwollend zu beschäftigen, ist eben keine Nabelschau, sondern ein Sichöffnen für das große Ganze. Für die Menschheit, für den Menschen neben mir, für die Natur und so weiter.

Es ist möglich, Selbstwirksamkeit zu entwickeln, genauso wie man Resilienz lernen und üben kann. Dazu braucht es unterschiedliche Zugänge, und jeder hat da auf der körperlichen und psychischen Ebene seinen individuellen Zugang. Das können ganz unterschiedliche Dinge sein: kalte Wickel, eine Schröpfkopfmassage oder eben Atemtechniken. Das ist dann ein körperlicher Zugang für die Patienten, der ihnen eine neue Welt eröffnet, der aber auch ihr Bewusstsein, ihr Dasein, ihr Mindset – alles auf einmal – betrifft. (…) Mehr

Diese Leseprobe endet hier. Möchten Sie weiterlesen? Unsere Ausgabe „Wahre Freiheit beginnt in dir!“ können Sie bequem online bestellen.

Zur Ausgabe „Wahre Freiheit beginnt in dir!“ im Shop

Scroll to Top