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Bruder David Steindl-Rast: Liebe – Vertrauen ins Leben

Als Benediktinermönch, spiritueller Lehrer und Autor widmet sich Bruder David Steindl-Rast seit Jahrzehnten unermüdlich der Frage, wie wir in einer aus dem Gleichgewicht geratenen Welt inneren Halt finden können. Seine Antwort: Dankbarkeit, Verbundenheit und ein entschiedenes und gelebtes Ja zum Leben. In diesem Essay zeigt er, dass Liebe kein Gefühl, sondern eine innere Haltung ist, die sowohl Mut als auch tiefes Vertrauen in unsere Zugehörigkeit zu allem Sein erfordert.

Text: Bruder David Steindl-Rast | Foto: Chris Zvitkovits

„Liebe“ ist ein häufig missverstandenes Wort. Wir müssen also damit beginnen, klarzustellen, was wir hier unter Liebe verstehen: kein Gefühl, sondern eine Haltung, nämlich das gelebte „Ja!“ zur Zugehörigkeit.

Freilich ist damit ein weites Spektrum von Gefühlen verbunden: romantische Liebe, Tierliebe, Mutterliebe, Liebe zur Kunst, Vaterlandsliebe, bis hin zur Feindesliebe. Es gibt viele Grade und Arten der Zugehörigkeit, die ausgelösten Gefühle sind also höchst vielfältig. Auf jede der erwähnten Formen aber trifft unsere Definition zu: Liebe ist das gelebte Ja zur Zugehörigkeit.

Gleichgültigkeit: das Gegenteil von Liebe

Viele Menschen meinen, das Gegenteil von Liebe sei Hass. Dass das ein Irrtum ist, lehrt uns die Erfahrung: In stürmischen Liebesbeziehungen können wir hin und her gerissen werden zwischen Wohlwollen und Hass, zwei Polen der einen Zugehörigkeit, von der wir nicht loskommen.

Hass und Wohlwollen sind Gegenpole innerhalb der Liebe, das Gegenteil von beiden aber ist Gleichgültigkeit. Was mir gleichgültig ist, geht mich nichts an – so meinen Gleichgültige. Das ist aber ein Irrtum, denn alles geht mich an, weil alles mit allem zusammenhängt. Mein Ich ist ein Knotenpunkt in einem grenzenlosen Netzwerk von Beziehungen.

Gleichgültigkeit dagegen ist blind für Zugehörigkeit und verfällt daher der Illusion von Unabhängigkeit und Vereinzelung. Diese Entfremdung führt dann zu Verunsicherung und Furcht vor dem Leben, denn nur durch Zugehörigkeit zu meiner Mitwelt kann ich mich sicher, geborgen und zu Hause fühlen. Gleichgültigkeit führt also durch Entfremdung zu Furcht; Liebe führt zu jenem Daheimsein in der Welt, das alle Menschen ersehnen.

Liebe wurzelt in Vertrauen

Das Ja zu grenzenloser Zugehörigkeit können wir nur lebendig verwirklichen, wenn wir dem Leben vertrauen. Liebe wurzelt also im Lebensvertrauen. Was uns das Vertrauen in das Leben so schwer macht, sind die Engpässe unseres Lebenslaufs, die uns immer wieder Angst machen. Angst und Enge sind ja wortverwandt.

Nun ist es wichtig, Angst von Furcht zu unterscheiden. Angst ist unvermeidlich. Wir treten ja schon ein ins Leben durch den engen Geburtskanal. Dabei vertrauen wir instinktiv dem Leben, das uns durch diese Enge führt. Später im Leben, wenn wir an einer engen Stelle Angst bekommen, versagt dieser Instinkt, und wir fürchten uns.

Furcht sträubt sich gegen die Angst und bleibt dadurch in der Enge stecken. Mutiges Vertrauen aber führt immer wieder zu einer Neugeburt. Wenn wir zurückblicken auf unser Leben, dann zeigt sich, dass beängstigende Engpässe immer wieder zu Durchgängen wurden und zu beglückendem Neubeginn führten.

Furchtloses Vertrauen aufs Leben – trotz unserer Ängste – lässt sich erlernen. Im Idealfall lehren Eltern es Kindern, indem sie sich vertrauenswürdig erweisen – also da sind, wenn die Kinder sie brauchen – und den Kindern Vertrauen schenken, anstatt sie beständig zu überwachen.

Auch Erwachsene können Lebensvertrauen noch erlernen, wenn andere ihnen auf diese zweifache Weise beistehen: Als Freunde müssen wir verfügbar sein, wenn sie uns brauchen, zugleich aber ihr Selbstvertrauen unterstützen. Und wenn wir dem Leben vertrauen, können wir das bedingungslose Ja zur Zugehörigkeit verwirklichen, das Ja zu unserem Vernetztsein mit allem Leben, das Ja der Liebe.

Wiederverbinden

Wir müssen unterscheiden zwischen Religion und den Religionen. Die Religionen sind verschiedene Brunnen, die Wasser heraufholen aus dem allen gemeinsamen Grundwasser der Religion.

Religion, wenn wir dieses Wort vom lateinischen re-ligare herleiten wollen, ist das Wieder-Verbinden und Heilen zerrissener Beziehungen – zu unserem echten Selbst, zu unserer Mitwelt und zum großen Geheimnis, mit dem wir uns als Menschen unvermeidlich auseinandersetzen müssen, um Sinn im Leben zu finden.

Geheimnis ist kein vager Begriff, sondern bedeutet jene Wirklichkeit, die wir nicht durch Begriffe in den Griff bekommen können, die uns aber verständlich wird, wenn sie uns ergreift. Wir kennen diese Ergriffenheit von der Musik, deren Wesen sich ja auch unseren Begriffen entzieht.

Dem Geheimnis begegnen wir in allen ergreifenden Lebenserfahrungen, etwa in Gipfelerlebnissen, bei der Geburt eines Kindes, im Angesicht des Todes und vor allem in der Liebe, weil sie das Ja zum Leben ist und so das Ja zum Geheimnis. Das Herz aller Religionen ist die Religion des Herzens: die Liebe. (…) Mehr

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