Christiane Wolf zeigt, warum echte innere Freiheit nicht nur äußere Umstände, sondern vor allem Vertrauen, Selbstannahme und innere Klarheit erfordert – und wie wir diesen Zustand durch achtsame Praxis kultivieren können. Sie führt uns ein in den Freiheitsbegriff des Buddha und macht diesen mit praktischen Übungen greifbar, die uns helfen, uns von alten Gewohnheiten zu lösen und innere Freiheit zu finden.
Text: Christiane Wolf
Als Mädchen wollte ich wie Pippi Langstrumpf in den Büchern von Astrid Lindgren sein: die Tochter eines Piraten, die ohne Eltern mit einem Äffchen und einem Pferd glücklich in der Villa Kunterbunt lebt. Das Titellied aus den Filmen klingt mir heute noch im Ohr: „Hey Pippi Langstrumpf, die macht, was ihr gefällt.“
Nur zu gern hätte ich es wie sie gemacht: Tun, was ich für richtig halte, und mich nicht darum scheren, was die Leute um mich herum davon halten – oder noch besser: mich darüber kaputtlachen, dass ich sie so aus der Fassung bringe. Meine Realität sah dagegen ganz anders aus, eher wie die von Annika, Pippis braver Freundin: Mir lag viel daran, was meine Mutter von mir hielt, meine Lehrer, meine Freunde. Aber Pippi war für mich immer das Paradebeispiel von innerer – und äußerer – Freiheit, lange bevor ich den Buddhismus kennengelernt habe.
Der Buddha und die Freiheit
„So wie der große Ozean nur einen Geschmack hat, den von Salz, so hat meine Lehre nur einen Geschmack, den von Freiheit“, hat der Buddha gesagt. In unserer Praxis geht es immer um innere Freiheit: sie zu finden, zu bemerken und, wenn wir sie verloren haben, wiederzufinden. Und wir können dabei als Leitfaden benutzen: Führt sie zu einem stärkeren Gefühl von Freiheit? Wie fühlt sich mehr Freiheit an? Mehr Raum, mehr Luft zum Atmen, mehr Wahlmöglichkeiten? Mehr Leichtigkeit und Klarheit? Ich fühle mich zugleich verbundener und mehr ich selbst, wenn ich mich frei fühle.
In Vergleichsstudien über verschiedene Aspekte der Freiheit und ihren Einfluss auf das subjektive Glücklichsein in wohlhabenden, demokratischen Ländern werden drei Arten von Freiheit unterschieden: soziale, psychologische und potenzielle Freiheit. Soziale Freiheit bedeutet Wahlfreiheit und das Fehlen von Einschränkungen durch andere. Psychologische Freiheit bedeutet Wahlfähigkeit und das Fehlen innerer Zwänge. Potenzielle Freiheit bedeutet Informationen über mögliche Wahlmöglichkeiten und das Bewusstsein äußerer Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten.
Im Prinzip gilt: Je mehr subjektive Freiheit ich empfinde, umso zufriedener bin ich – „Glück“ ist ein komplizierter Begriff. Warum nehmen die nordischen Länder dabei immer die ersten Plätze ein, obwohl es anderswo ein vergleichbares Maß an Wohlstand gibt? Es wird vermutet, dass neben einem starken öffentlichen Versorgungssystem für die Gesundheit und das Alter eine flache gesellschaftliche Hierarchie bedeutsam ist.
Es ist fast unvermeidlich, dass wirtschaftliche, soziale und politische Systeme den individuellen Handlungsspielraum begrenzen. Daher ist es so wichtig, sich für eine Gesellschaft einzusetzen, in der die Freiheit jedes Einzelnen respektiert und gefördert wird, und sich für Veränderungen zu engagieren, wenn Ungerechtigkeiten und Einschränkungen auftreten. Denn letztlich soll jede und jeder den eigenen Weg wählen dürfen. Das ist allerdings nicht mit „Ich mach, was ich will, ohne Rücksicht auf Verluste“ zu verwechseln. Obwohl die sozialen Freiheiten einen Einfluss darauf haben, wie frei wir uns fühlen, gibt es keine direkte Kausalität zwischen beidem. Ständig zu tun, was einem gerade in den Sinn kommt, entspricht eher dem Entwicklungsstand eines Kleinkinds als dem eines Erwachsenen.
Äußere und innere Freiheit
Eigentlich sollten wir doch, nachdem unsere Grundbedürfnisse befriedigt sind, überwiegend in einem Zustand der Zufriedenheit leben. Es zeigt sich jedoch, dass materieller Wohlstand und die damit verbundenen äußeren Freiheiten oft wenig mit innerer Freiheit zu tun haben. So scheinen reiche Menschen ein gutes Leben in maximaler äußerer Freiheit zu genießen, können sie sich doch die Erfüllung all jener Wünsche leisten, die sich kaufen lässt. Doch inmitten von Reichtum, Privilegien und Muße Unfreiheit zu erfahren, bedeutet, das zu durchdringen, was man den Mythos der Freiheit nennen kann. In der buddhistischen Praxis wird nämlich deutlich, dass unsere Aufmerksamkeit keineswegs frei ist, sondern sich gewohnheitsmäßig auf unsere Abneigungen und Wünsche richtet. Den Schmerz dieser Unfreiheit, ja dieses Gefangenseins zu spüren, führt ganz natürlich zu dem Wunsch nach mehr innerer Freiheit.
Ab einem gewissen Punkt beginnt man, zu ahnen, dass die eigene Vorstellung von Freiheit auf dem Kopf steht: Wünsche, egal ob „gut“ oder „schlecht“, scheinen ein Eigenleben zu führen und werden umso unerschöpflicher, je mehr wir ihnen nachgeben, wie uns das schöne Beispiel von Goethes Zauberlehrling vor Augen hält: „Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister werd’ ich nun nicht los.“
Als allgemeine Kraft verstanden, gehören diese Wünsche nicht mehr „mir“, sondern üben gewohnheitsmäßig eine starke Kontrolle über „mein“ Leben aus. Denn ich wähle sie nicht, sie machen vielmehr von selbst in mir weiter. Etwas anderes kommt hinzu, wenn wir den buddhistischen Gedanken vom bedingten Entstehen hinzunehmen: Woraus sich „meine“ Wünsche zusammensetzen und was sie antreibt, lässt sich schwerlich als „meins“ fassen; alles Mögliche fließt hier ein. (…) Mehr
