Für den Spiegel schreibt sie seit 2021 die regelmäßige Kolumne Liebesleben, in der sie mit Witz, Wissen und politischem Gespür über Sex und Beziehungen spricht. Auf unserer Jobcouch erzählt Heike Kleen, warum sie sich als Teilzeitfeministin bezeichnet – und was es wirklich braucht, damit Menschen in einer sexualisierten Welt echte Nähe erfahren können.
Interview: Norbert Classen | Foto: Eva Häberle
Frau Kleen, was hat Sex mit Liebe zu tun?
Es gibt natürlich auch Sex ohne Liebe, aber ich persönlich meine, Sex mit Liebe ist viel schöner, aufregender und führt weiter. Das andere hat natürlich auch seine Berechtigung, gerade in jungen Jahren, wenn man sich selbst erfahren und seinen Körper kennenlernen will. Um herauszufinden: Was mag ich, was mag ich nicht? Und dabei immer auf das Bauchgefühl hören, ohne den anderen zu verletzen: Was ist richtig? Wie weit will ich gehen?
Im ländlichen Ostfriesland sind Sie schon mit fünf Jahren zur Feministin geworden.
Schon als Kind habe ich mich gefragt: Wie kann es sein, dass die Frauen hier ununterbrochen arbeiten, hin und her rennen, Tee kochen und andere bedienen? Die Männer versinken im Sessel und rühren nicht mal den kleinen Finger, um die Teetasse an ihren Platz zu schieben. In der Schule waren die Jungs eher „verhaltenskreativ“, und die Mädchen liefen einfach in der Spur, haben super Leistungen gebracht und wurden dafür nicht sonderlich gelobt. Jungs kriegten immer noch ein Extragetätschel, obwohl ich immer gedacht habe: „So schlau sind die jetzt auch nicht.“
Ich habe also früh gemerkt, dass da mit zweierlei Maß gemessen wird. Und auch gesehen, dass sich die erwachsenen Männer im Supermarkt meiner Oma interessiert die Nackte auf der Bildzeitung angeguckt haben. Ich habe schon damals nicht verstanden, wieso eine Frau sich freiwillig nackt fotografieren lässt und was Männer daran finden. Später habe ich es dann verstanden, aber es hat mich irritiert: Einerseits gucken die solche Frauen an, aber die eigene Frau nicht, die den ganzen Tag hin und her rennt.
Sie bezeichnen sich heute als Teilzeitfeministin. Was meinen Sie damit?
Ich merke einfach, dass die Sozialisation in uns Menschen so tief sitzt, dass wir oft in Verhaltensmuster fallen, die wir nicht wollen. Sprich, ich bekomme ein Kind und denke: „Super, wir schaffen das hier in unserer gleichberechtigten Beziehung.“ Dann liegt das Kind auf meinem Bauch und ich denke: „Jeder, der sich ihm nähert, wird von mir persönlich weggebissen, denn das ist mein Kind, auf das ich aufpassen muss!“ Man wird in eine Rolle zurückgeworfen, von der man nicht genau weiß: Ist das Biologie oder Sozialisation?
Ein anderes Beispiel für meinen Teilzeitfeminismus ist, dass ich einerseits denke, Schönheitsideale, alles Quatsch, wir sollten uns so lieben und toll fühlen, wie wir sind. Und dann denke ich: „Irgendwie sitzt die Hose doch ganz schön eng“, oder: „Ich sah auch schon mal jünger aus.“ Ich kritisiere mich, obwohl mein Kopf weiß, das ist Quatsch.
Warum ist Sex auch in unserer Zeit immer noch eine politische Angelegenheit?
„Das Private ist politisch“, diesen Satz hat Carol Hanish 1970 geprägt. Das ist so, denn wenn Menschen in ihrer Sexualität kleingemacht werden oder voller Scham sind, heißt das, in unserer Gesellschaft stimmt etwas nicht. Wenn Männer glauben, sie müssen immer viel leisten, ihren Mann stehen, immer wollen, immer können, immer stark sein, und Frauen denken, sie müssten gefügig sein und Bedürfnisse befriedigen, obwohl sie es nicht wollen, weil wir es so beigebracht bekommen haben, dann kann keine echte Intimität entstehen.
All das hängt mit der Politik zusammen. Die jungen Menschen waren als Geschlechter politisch noch nie so weit auseinander wie heute. Junge Männer wählen rechts bis rechtsradikal, junge Frauen eher liberal. Sie sagen sich: „Mein Körper gehört mir. Ich sehe nicht ein, warum Männer darüber bestimmen, ob ich ein Kind bekomme oder nicht. Und ich befriedige keine Wünsche, die ich nicht befriedigen möchte.“
Junge Frauen sind heute finanziell nicht mehr abhängig, wie es noch in der Generation meiner Mutter oder Großmutter war. Einen Mann an ihrer Seite müssen sie wirklich wollen. Und dafür muss der sich auch ein bisschen anstrengen. Das ist noch nicht in allen Köpfen angekommen. Nicht wenige junge Männer folgen Andrew Tate oder irgenwelchen AfD-Leuten, die sagen: „Ein echter Mann ist rechts, dann klappt es sie müssten viele Muskeln haben und machomäßig mit einem dicken Auto posen, dann kriegen sie eine Freundin, und die bleibt dann schön zu Hause und kümmert sich um sie. Aber die 50er-Jahre sind vorbei. Der Geist des Feminismus ist aus der Flasche und geht auch nicht wieder rein.
Wie gehen Sie mit Ihren Kindern in Sachen Aufklärung um? Und was sagen die zum Job ihrer Mama?
Meine Kinder wissen inzwischen, was ich mache, und finden mich, glaube ich, manchmal ein bisschen merkwürdig. Aber so richtig schlimm finden sie mich nicht. Sie wissen, dass sie mit mir über alles reden können, aber ich dränge ihnen nichts auf. Nichts ist schlimmer als Eltern, die ihren Kindern ein Gespräch über Sexualität aufdrängen.
Aber natürlich kriegen sie viel mit. Hier liegt viel Literatur rum. Wir gucken auch Filme, in denen es um Sex geht. Wir haben einmal den Film Tatsächlich … Liebe angeguckt, weil ich dachte: „Super, der ist ab sechs.“ Meine Tochter war damals acht – da kann ja nichts schiefgehen. Bis die Szene kam, in der ein Mann und eine Frau einen Porno drehen. Meine Tochter guckte mich an und fragte: „Mama, was machen die da?“ Und ich habe gesagt: „Die haben Sex.“ Darauf sie: „Ich weiß, dass die sexen, aber warum lassen sie sich dabei filmen?“ Dann habe ich gesagt: „Na ja, die kriegen Geld dafür.“ Und da meinte sie: „Ach so, mit Kapitalismus kann man heutzutage alles erklären.“ (…) Mehr