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Moment by Moment

Mitgefühl in Aktion

Wir alle kennen Alltagssituationen, die uns herausfordern oder aus dem Gleichgewicht bringen. Ganz gleich, wie lange wir schon praktizieren, kann es an manchen Tagen, wenn nicht alles so läuft, wie wir es uns vorstellen, passieren, dass wir auch einmal die Fassung verlieren. Jana Willms, Trainerin und Ausbilderin für Mindfulness-Based Compassionate Living (MBCL) zeigt uns an einem sehr persönlichen Beispiel, wie uns kleine Übungen dabei helfen können, innezuhalten und uns wieder mit uns selbst, unserem mitfühlenden Herzen und der Welt zu verbinden.

Text: Jana Willms | Foto: Roman Samborskyi

Manchmal kann das Leben ganz schön schwierig sein. Gestern zum Beispiel. Ich hatte eine E-Mail geschrieben, die ich später gern zurückgeholt hätte. Beim Schreiben hatte ich mich okay gefühlt, war aber vom ganzen Tag ziemlich erschöpft: Es war einiges schiefgegangen und alles insgesamt zu viel. Keine guten Voraussetzungen für eine Mail, die etwas Fingerspitzengefühl gebraucht hätte, weil mich ein schon lange bestehendes Software-Problem ärgerte und ich den Eindruck hatte, der Verantwortliche kümmere sich nicht darum. Das hatte ich noch erledigen wollen.

Es dauerte nicht lange und ich hatte den Adressaten, den ich persönlich gar nicht kenne, am Telefon. Er war aufgeregt, klang, als fühlte er sich persönlich angegriffen. Mir schlug das Herz bis zum Hals. „Das passt gar nicht zusammen! Sie unterrichten doch Achtsamkeit“, schnaubte er, „und dann so eine E-Mail!“

Etwas in mir zog sich zusammen. Ich schämte mich, war verwirrt. Hatte ich etwas Unangemessenes geschrieben? Während er weitersprach, suchte ich Halt und ließ meine Aufmerksamkeit in die Fußsohlen fließen. Ich spürte, wie mich die Erde trug. Ich konnte etwas Gewicht abgeben. Weicher werden. Ausatmen. Ich fühlte, wie sich mein Herzschlag etwas beruhigte. Ich konnte ihm wieder besser zuhören.

In drei Schritten Klarheit gefunden

Dann war das Gespräch plötzlich unterbrochen. Ich war dankbar für die Möglichkeit, mich sammeln zu können. Die Übung „Atemraum mit Mitgefühl“ mit ihren drei Schritten ist mir in solchen Momenten oft eine große Hilfe: Zuerst einmal geht es darum, innezuhalten und behutsam die schwierigen Erfahrungen des Augenblicks wahrzunehmen. Ich spürte, wie unangenehm dieser Anruf in meinem Körper nachhallte – und bemerkte Widerstand: ein Teil von mir hatte nur wenig Lust, sich dem zuzuwenden, was gerade passiert war. Ich fühlte mich überrumpelt und ungerecht behandelt. „Ich wollte ihm doch gar nichts!“, ging mir durch den Kopf. „Ich will nur, dass dieses Software-Problem endlich gelöst ist! Das kann doch nicht so schwer sein!“ Wie leicht hätte ich mich in diesen Gedanken und Gefühlen verlieren können! Nur hätte das nichts genützt.

Der nächste Schritt der Übung besteht darin, die Gedanken und Gefühle sich selbst zu überlassen und die Aufmerksamkeit zum Atem zu bringen – ein Anker, der hält. Mein Atem fühlte sich flach und schnell an. Behutsam erlaubte ich ihm, einen beruhigenden Rhythmus zu finden. Langsam ebbte die Anspannung ab, mein Körper wurde weicher, und etwas öffnete sich in mir – für den dritten Schritt: mir selbst, ihm oder uns beiden einen mitfühlenden Wunsch anbieten. Ein Wunsch für uns beide war am stimmigsten: „Mögen wir uns als Menschen begegnen können. Mögen wir einen Weg miteinander finden.“ Das Gefühl von Verbundenheit kehrte zurück – zuerst mit mir selbst, dann auch mit dem Menschen, den ich gerade am Telefon gehabt hatte. Ich konnte wohlwollend und mit mitfühlenden Augen auf uns und unsere Begegnung schauen.

Oberflächlich war meine E-Mail korrekt gewesen, aber ich hatte in meiner Ungeduld nur Augen für mein Problem gehabt – und etwas von dieser Anspannung war offensichtlich in meine Worte eingeflossen. Ich hatte mir nicht bewusst gemacht, dass ich einem Menschen schrieb, der – genau wie ich – nicht perfekt war, vermutlich sein Bestes gab, verletzlich war und viele Dinge nicht kontrollieren konnte. Wenn ich mir im Vorfeld Raum für solche Überlegungen genommen und eine Verbindung zum Gegenüber gespürt hätte, hätte ich meine Worte anders gewählt oder die E-Mail vor dem Senden mit etwas Abstand noch einmal gelesen und sie auf mich wirken lassen. Aber das hatte ich nicht getan – und ich bedauerte es aufrichtig.

Früher hätte ich mich in solch einem Moment in Grund und Boden geschämt oder mich selbst – oder mein Gegenüber – dafür verurteilt. Und in Gedanken verloren wie: „Warum habe ich nicht …“ oder „Wie konnte er nur …“ (…) Mehr

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