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Tobias Esch: Miteinander und füreinander

Wie verbunden sind wir wirklich – mit uns selbst, unseren Mitmenschen und der Welt? Der Gesundheitsforscher Tobias Esch entwirft ein neues, dreidimensionales Koordinatensystem der Verbundenheit und zeigt daran, warum soziale, kulturelle und spirituelle Verankerung kein Luxus, sondern von zentraler Bedeutung für unsere Gesundheit und unser Leben sind. Durch das Modell wird zudem deutlich, wie wichtig das Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Elementen ist.

Text: Tobias Esch

Verbundenheit scheint heute in aller Munde zu sein. Mehr noch: Das Nichtverbundensein, die Einsamkeit beispielsweise, scheinen zu grassieren. Wir hören sogar in der Politik davon, selbst die neue deutsche Regierung hat sich das Thema auf die Fahnen geschrieben.

Auch wenn wir heute über Social Media ständig im Austausch stehen, miteinander überall und immer verbunden zu sein scheinen, sind wir doch meist allein; schauen allein auf unsere Screens. Auch die Personen, die wir dort sehen, sind sehr oft allein. Dieses Problem ist seit vielen Jahren bekannt und wurde 2020 vom früheren Google- und Instagram- Entwickler Tristan Harris in der gleichnamigen Dokumentation treffend mit dem Begriff „social dilemma“ bezeichnet. Wir Menschen sind kooperativ, das heißt miteinander und füreinander da. Von Geburt an brauchen wir das Zusammensein und die Verbundenheit mit anderen, nicht, dass wir uns absondern – das nur in Ausnahmesituationen – oder uns gar gegeneinander wenden. Denn durch das Verbundensein mit anderen wächst das Gefühl, beheimatet und aufgehoben zu sein, einen Platz in der Welt zu haben. Die Forschung zeigt eindrücklich, dass Menschen, die das entbehren, ein stark erhöhtes Risiko haben, einen Herzinfarkt, Schlaganfall, eine Depression, Diabetes oder Demenz zu bekommen und früher zu sterben. Insgesamt ist die Gefährdung der Gesundheit durch fehlende Verbundenheit mindestens so groß wie durch Rauchen.

Doch was meinen wir konkret mit Verbundenheit, welche Dimensionen gibt es, und wie kann man sie messen und darstellen?

 

Was ist mit Verbundenheit alles gemeint?

Fachlich unterscheidet man entweder drei oder fünf Arten: Selbstverbundenheit, soziale Verbundenheit und spirituelle Verbundenheit ist die eine Einteilung. Die andere: Verbundenheit mit mir selbst, mit dem direkten Gegenüber, mit der unmittelbaren Peergroup, mit der Gesellschaft und mit dem Universum.

Als Meditierender und interessierter Leser buddhistischer Schriften bin ich vor einigen Jahren auf eine Übung gestoßen (im Anschluss an diesen Artikel), die dann auch kürzlich in unsere fachliche Analyse und Beurteilung von Verbundenheit eingeflossen ist. Wir haben versucht, die genannten Dimensionen in ein dreidimensionales Koordinatensystem der Verbundenheit zu überführen. Jetzt wurde sie – oder auch die Nichtverbundenheit – auf einmal grafisch darstellbar.

 

Verbunden in der Zeit und im Hier und Jetzt

Stellen wir uns vor, wir hätten Achsen und Ebenen der Verbundenheit in uns. Eine Ebene, die Horizontale, nimmt im Wesentlichen die Beziehungen zu Menschen (oder Tieren) auf. Dabei verläuft eine Achse von hinten nach vorne: Hinter mir sind Menschen, durch die ich die Person geworden bin, die ich bin, vielleicht meine Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, auch Vorbilder, meine „Helden“. Vor mir sind diejenigen, die auch durch mich geworden sind, wer sie sind, und vielleicht zu mir aufschauen: die eigenen Kinder, Schülerinnen und Schüler, Menschen, für die ich ein Vorbild bin. Diese Achse kann man auch als Generativitätsachse bezeichnen: Sie verbindet meine Vorfahren und meine Nachfahren, in der Mitte stehe ich selbst. Wie verbunden fühle ich mich mit diesen beiden Gruppen? Ebenfalls auf der horizontalen (oder sozialen) Ebene, jetzt auf der Achse von links nach rechts, finden wir Menschen, die uns im Hier und Jetzt durchs Leben begleiten. Diese Achse ist also die mitmenschliche Gegenwart, die Präsenzachse. Wieder die Frage: Wer ist dort, wer geht mit mir, wer begleitet mich? Und wie verbunden bin ich mit diesen Personen?

Dann kommt die vertikale Ebene. Hier geht die zentrale Achse vom Boden durch mich hindurch zum Himmel oder umgekehrt. Die Frage: Was ist der Boden, auf dem ich stehe und mich bewege, die Kultur, die Natur, wir könnten auch sagen die Gegend? Wie verbunden bin ich mit ihr, wie beheimatet in ihr? Durch mich hindurch läuft dieser unsichtbare Pfad nach oben und tritt aus meinem Scheitel wieder aus – in den Himmel, ins Universum, ins Transzendente. Was ist „dort oben“ für mich? Und wie verbunden bin ich hier? Wie verortet bin ich zwischen dem „da oben“ und der Erde „da unten“? Wie zentriert bin ich zwischen beiden? Und habe ich einen guten Kontakt?

 

In der eigenen Mitte?

Stellt man sich diese Ebenen und Achsen bildlich vor, treffen sie sich, im Idealfall, in der eigenen Mitte. Man könnte sich auch die berühmte Abbildung des vitruvianischen Menschen von Leonardo da Vinci vorstellen: Der Mensch, in idealen Proportionen, der seine Arme und Hände ausgestreckt hat und mit ihnen einen Kreis um sich bildet. Wenn dieser Mensch die Hände auch nach oben, nach vorne und nach hinten streckt, entsteht um ihn herum eine Kugel.

Wäre meine Kugel, wenn ich die oben beschriebenen Achsen und Ebenen betrachten würde, rund und gleichförmig? Läge ihre Mitte wirklich in mir selbst, in meinem Zentrum, vielleicht in der Gegend meines Herzens oder unweit darunter? Oder wäre sie verschoben, wenn auch nur ein wenig? Würde ich gewissermaßen, was die Verbundenheit angeht, in der „Nachbarschaft“ zu mir selbst leben? Und wie würde sich das anfühlen?

Ist nicht genau das ein häufiges Problem? Dass wir überall leben, aber nicht in der Verbundenheit, in unserer Mitte, nicht in uns selbst und vollständig im Leben zu Hause? Genau zu dieser Frage (und mit diesem Modell) haben wir aktuell Forschungen begonnen. Die ersten knapp 1.000 Datensätze liegen vor. Wir sind noch in der Auswertung, aber was man schon jetzt sehen kann: Es wird spannend. Doch möglicherweise brauchen wir keine wissenschaftlichen Methoden, um das Wesen der geschilderten Verortung von Verbundenheit zu spüren und zu verstehen. (…) Mehr

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