Als Neurowissenschaftler und Psychiater hat Volker Busch einen besonderen Blickwinkel auf unser Alltagsgeschehen. Wir sprechen mit ihm über die zunehmende Unsicherheit in unserer Gesellschaft und das, was dabei im Gehirn passiert, aber auch über die Grundeigenschaften von Humor, der uns nicht nur zum Lachen bringt, sondern es uns vor allem ermöglicht, unsere Perspektive zu wechseln und wieder mit Zuversicht in die Zukunft zu schauen.
Interview: Norbert Classen | Foto: Oliver Reetz
Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für dieses Gespräch nehmen. Woran krankt unsere Gesellschaft?
Als Psychiater, der jeden Tag psychische Erkrankungen sieht, bemerkt man wahrscheinlich mehr Dinge in der Welt, die einem krankhaft vorkommen, als es sie tatsächlich gibt. Ob das gleich Krankheiten sind, weiß ich nicht, aber woran es uns derzeit gesellschaftlich mangelt, ist sicherlich Zuversicht, eine positive Sicht auf die Zukunft. Zugleich gibt es eine Zunahme von Unsicherheit und eines unbestimmten Gefühls von dem, was kommen könnte. Eine Art von Bedrohungserwartung. Dieses Gefühl wird heute vielleicht nicht von jedem, aber doch von vielen geteilt.
Warum fällt es uns so schwer, angesichts von Ungewissheiten unsere Leichtigkeit und Lebendigkeit zu bewahren?
Der Homo sapiens ist ja ein Homo prospectus, wie es ein berühmter Psychologe ausgedrückt hat, also ein Wesen, das nicht nur denkt, sondern immer in die Zukunft guckt. Wir schauen zwar nicht sehr weit hinein, aber dafür mehr oder weniger ständig. Ein Großteil unserer Gedanken bezieht sich auf das, was kommen könnte und kommen wird. In einer Zeit, in der es uns verhältnismäßig gut ging, sagen wir mal in den letzten 30 Jahren, war dieser Blick immer positiv. Nicht nur das nächste Wochenende und der Urlaub im nächsten Jahr, sondern auch die wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Veränderungen waren eher positiv. Und das verändert sich gerade. Die Zukunft ist für viele ein Mysterium geworden. Ich erlebe das täglich in meiner Beratung und Behandlung von Menschen, die nach vorne schauen sollen und es zum ersten Mal recht schwarzmalerisch tun. Natürlich gab es immer schon Pessimisten, aber man merkt, dass es immer mehr Menschen schwerfällt, der Zukunft etwas Positives abzugewinnen. Das ist insofern bedenklich, als es nicht nur die Stimmung verschlechtert und Unruhezustände oder Schlafstörungen verursacht, sondern auch zu einem Gefühl der Hilflosigkeit und Ohnmacht führt und damit zum Verlust der Fähigkeiten, die Zukunft sinnvoll zu gestalten. Denn wir wissen heute aus der Forschung: Nur wenn wir positiv in die Zukunft blicken und uns für etwas begeistern, uns etwas vorstellen, worauf wir hinarbeiten möchten, entwickelt das in uns auch den Antrieb, in diese Richtung zu gehen. Wenn wir stattdessen den Abgrund vor Auge haben, kann uns das langfristig nicht motivieren. Es tut mir so weh, zu sehen, dass nicht nur der einzelne Mensch mit seiner psychischen Gesundheit unter Pessimismus leidet, sondern wir als Ganzes, weil uns die Kraft fehlt, die Zukunft gut zu gestalten.
Sie sagen auch, dass unser Gehirn schlecht mit Ungewissheiten umgehen kann. Können Sie das näher erläutern?
Wir waren in den letzten 30 bis 40 Jahren Gewissheiten gewohnt und haben recht sorgenfrei gelebt, mit einem fetten Rettungsring um unsere Wohlstandsbäuche. Natürlich war das Leben für viele Menschen in unserem Land auch früher nicht einfach, aber im internationalen Vergleich muss man sagen, dass es den Menschen in Deutschland, auch den ärmeren, gut ging. Und alles war auf Wachstum und Entwicklung ausgerichtet. Wir waren Gewissheiten gewohnt und die brechen gerade weg. Die Welt ist politisch instabiler und wirtschaftlich unsicher geworden. Und auch in anderen Bereichen des Lebens sind diese Gewissheiten nicht mehr da.
Ungewohntes trifft Menschen besonders stark. Ich vergleiche das gerne mit einer Allergie. Wenn Sie auf bestimmte Pollen und Gräser im Frühling allergisch reagieren, dann, weil ihr Immunsystem nicht gelernt hat, damit umzugehen. Es ist intolerant diesen Allergenen gegenüber. Es braucht dann ein schrittweises Heranführen an sie. So müssen wir auch gesellschaftlich mit Ungewohntem und Ungewissheiten umgehen, müssen ihnen gegenüber tolerant werden, ein mentales Immunsystem entwickeln, indem wir uns an den Gedanken gewöhnen, dass die Welt nicht mehr so gewiss ist, wie sie einmal war. Und dass sich aufgrund der Globalisierung und der Schnelllebigkeit Dinge in Zukunft auch schneller verändern werden.
Was meinen Sie mit einem mentalen Immunsystem?
Das mentale Immunsystem ist ein Sprachbild, mit dessen Hilfe man sich besser vorstellen kann, wie wir psychische „Krankheitserreger“ abwehren können, also Ängste, Depressionen, Wut, Ärger, Kränkungen – all das, was uns psychisch belastet. Prinzipiell trifft uns nicht alles ins Herz oder sorgt dafür, dass wir zusammenbrechen und eine Depression entwickeln, sondern wir können vieles überwinden. Das ist dem psychischen Immunsystem zu verdanken, das die Auseinandersetzung mit diesen psychischen Krankheitserregern in unserem Gehirn regelt und aus jedem Kontakt stärker hervorgeht. So sollte es zumindest im optimalen Fall laufen. Das ist leider nicht immer so. Wir alle kennen Menschen, denen ein Schicksalsschlag die Beine weggerissen hat und die ein Leben lang krank bleiben. Wenn es gut geht, überwinden wir solche Belastungen und werden durch die Auseinandersetzung damit stärker, vielleicht nicht immun, aber wir können im Laufe des Lebens lernen, mit solchen Dingen besser umzugehen. (…) Mehr