Beginnend mit ihrer Kindheit nimmt uns Christiane Wolf auf eine Reise durch unterschiedliche Arten der Freude und ihre Wirkungen mit – bis zum Entzücken und zur Ekstase. Vor allem Letzterer gewinnt sie überraschende neue Seiten ab. Und sie betont: Ohne Freude geht es nicht – gerade auch in schwierigen Zeiten.
Text: Christiane Wolf
Als ich zehn oder zwölf Jahre alt war, hörte ich, wie meine Stiefmutter zu meiner Großmutter über mich sagte: „Wenn ich ihr etwas schenke, freut sie sich gar nicht.“ Natürlich war das nicht für meine Ohren bestimmt, aber es hat mich getroffen. Stimmte das? Hatte ich mich über die heiß ersehnten Jeans nicht gefreut? Ich dachte schon. Aber offenbar war meine Reaktion nicht das, was erwartet wurde. An mir blieb hängen, dass ich undankbar war. Erst viele Jahre später ist mir klargeworden, wie komplex die Themen Freude und Dankbarkeit sind, wie verwoben mit unserer Kultur und Religion und dem Ausmaß individueller wie kollektiver Traumata. Bei uns zu Hause wurde sich, wenn überhaupt, nur ein bisschen gefreut. Und dann sehr anständig, sozusagen mit geschlossenem Mund und gekreuzten Beinen. Wenn ich heute Zeit mit Freunden aus Lateinamerika verbringe, fällt mir immer wieder auf, wie sie sich ganz anders freuen und wie das manchen Teilen von mir immer noch ungewohnt und fast ein bisschen unangenehm ist.
Was mir inzwischen auch klar geworden ist: Ohne Freude geht es nicht. Freude macht etwas mit uns, was uns gesund erhält, ganz besonders dann, wenn uns das Leben stolpern lässt. Freude ist wie eine gute Mahlzeit: nährend und notwendig.
Buddhismus: Freude auf den zweiten Blick
Wenn wir zum Buddhismus schauen, fällt uns meist nicht als erstes Wort Freude ein. Was erstaunlich ist, denn auf dem Gesicht jeder Buddhastatue sieht man sie!
Tatsächlich ist Freude einer der sieben Erleuchtungsfaktoren und eine der ersten Empfindungen, die die meisten Praktizierenden in der Meditation fühlen. Freude kann ebenso durch ethisches Verhalten entstehen wie durch Großzügigkeit oder Dankbarkeit. In der Meditation können wir eine tiefe Freude kultivieren, die unabhängig von den äußeren Umständen ist. Das bekannteste Wort für Freude im Buddhismus ist mudita, eine der vier Herzensqualitäten neben liebender Güte, Mitgefühl und Gleichmut. Sie ist allerdings eine spezielle Art der Freude, manche würden sagen: eine fortgeschrittene, nämlich Mitfreude. Wir erfreuen uns an der Freude eines anderen. Dann gibt es da noch den spannenden Begriff sukkha. Wie ihr bekannteres Gegenstück dukkha (Leiden) hat der Buddha weder den einen noch den anderen Begriff jemals genau definiert. Der Buddha war sonst nicht vage war in seinen Lehren, aber hier macht es fast den Eindruck, als hätte er diese beiden Begriffe an seine Schüler weitergegeben, damit sie sich damit immer weiter und tiefer auseinandersetzen. Sukkha umfasst die ganze Bandbreite von körperlichem Vergnügen über Wohlbefinden und Freude bis zum Glück. Da bekommen wir schnell Probleme mit der Übersetzung. Wenn wir uns auf einen deutschen Begriff festlegen, schließen wir damit andere Dimensionen aus, die in dem Paliwort inbegriffen sind.
Wenn wir im Achtsamkeitskurs ganz achtsam eine Rosine essen und uns das ein überraschendes Vergnügen bereitet, dann ist das eine Form von sukkha. Solche winzigen Handlungen der Freude können einen großen Unterschied in unserem Leben machen. Aus der Zusammenarbeit und freudevollen Freundschaft des Dalai Lama und des inzwischen verstorbenen Erzbischofs von Südafrika, Desmond Tutu, entstand das „Big Joy“-Projekt (siehe auch moment by moment 1/2022, Anm. d. Red). Mehr als 88.000 Teilnehmer haben inzwischen „7 Minuten 7 Tage lang“ kleine Handlungen für mehr Freude praktiziert. Das Ergebnis? Die Teilnehmenden erfahren einen Anstieg an emotionalem Wohlbefinden durchschnittlich 25 Prozent! Weiterhin konnte eine Verminderung des Stresses und ein besserer Umgang mit ihm sowie eine Verbesserung der Beziehungen gemessen werden. Die kurzen Übungen steigern Spaß, Ausgelassenheit, Hoffnung und Optimismus. (…) Mehr