Moment by Moment

Panoramaaufnahme eines Gebirgssees. Im strahlend blauen Wasser spiegelt sich die Umgebung und der Himmel

Warum uns die Natur kreativer macht

Schon die klassischen Dichter und Denker haben die Natur als Quelle der Inspiration gelobt. Aber stimmt das auch? Macht uns eine Wanderung durch die Natur tatsächlich kreativer? Aktuelle wissenschaftliche Studien scheinen das zu belegen und verraten auch, warum und welche Faktoren dabei von besonderer Bedeutung sind.

Text: Anna K. Flamm

Forscher haben in den letzten Jahrzehnten verschiedene Methoden entwickelt, um Kreativität wissenschaftlich zu messen. Eine der bekanntesten ist der Remote Associates Test (RAT), ein Wortassoziierungstest, bei dem der Proband zu drei vorgegebenen Begriffen einen vierten, der zu allen passt, finden muss. Ein Beispiel: „Witwe, Biss, Affe.“ Das vierte, verbindende Wort lautet „Spinne“. Oder: „Bass, Schlaf, Komplex.“ Die Antwort lautet „tief“.

Wissenschaftler der Universitäten von Utah und Kansas, die den Effekt von Naturerleben auf die Kreativität erforschen, haben im Rahmen ihrer Studie 56 Erwachsene ohne Handys oder ablenkende elektronische Geräte auf eine mehrtägige Wanderung durch die Wildnis geschickt. Alle mussten zehn RAT-Fragen beantworten – allerdings zu unterschiedlichen Zeiten. Während die einen den Test vor ihrer Rucksacktour absolvierten, erledigten die anderen ihn am vierten Tag der Wanderung. Das Ergebnis: Die zweite Gruppe erzielte wesentlich bessere Resultate. Wo Gruppe eins nur vier Fragen beantworten konnte, schaffte Gruppe zwei im Schnitt sechs. „Das zeigt“, so der Studienleiter Dr. David Strayer, „dass die Interaktion mit der Natur einen wirklichen, messbaren Nutzen bietet, um kreativ Probleme zu lösen. Wenn wir Zeit in der Natur verbringen, bringt uns das deutliche kognitive Vorteile.“ Und seine Kollegin Ruth Anne Atchley ergänzt: „Die Natur ist ein Ort, an dem sich unser Geist ausruhen, entspannen und von Bedrohungsgefühlen befreien kann. Daher haben wir in der Natur noch Ressourcen übrig, um kreativ und einfallsreich für Problemlösungen zu sein.“

Wie die Natur die Kreativität steigert

Der Schlüssel zum Verständnis, warum die Natur die Kreativität steigert, liegt laut Strayer in der Aktivierung des sogenannten Default-Mode-Netzwerks in unserem Gehirn – wir berichteten bereits in moment by moment 4/2020 darüber, dass Meditation dieses Netzwerk aktiviert (Interview mit Amishi Jha). Laut Strayer ist es direkt mit dem kreativen Denken verbunden. Das konnte sein Team bei einer weiteren Studie mit einer Gruppe von Wanderern belegen, bei denen auf einer dreitägigen Tour durch die Natur die Hirnaktivität und der Spiegel des Stresshormons Cortisol untersucht wurden. Das Default-Mode-Netzwerk wurde aktiviert, während alle anderen Netzwerke ihre Aktivität verringerten. Gleichzeitig sank der Cortisolspiegel signifikant.

Strayer und seine Kollegen untersuchten auch die Auswirkungen von Handys, indem sie die EEG-Werte von Personen, die in einem Arboretum spazieren gingen, während sie mit ihrem Handy telefonierten, mit den Werten von Personen verglichen, die das in derselben Umgebung nicht taten. Die Teilnehmer mit Mobiltelefon zeigten EEG-Aktivitäten, die auf eine Überlastung der Aufmerksamkeitsnetzwerke hindeuten, und konnten sich nur an halb so viele Details aus dem Arboretum erinnern wie diejenigen, die nicht telefoniert hatten.

„Wenn man dem Gehirn erlaubt, aus dem Multitaskingmodus auszusteigen, indem man das Handy beiseitelegt und ohne technische Geräte spazieren geht, dann erholt sich der präfrontale Kortex“, so Strayer. „Und das ist der Moment, in dem wir wahre Ausbrüche von Kreativität, eine gesteigerte Fähigkeit zur Problemlösung und gesteigertes Wohlbefinden beobachten können.“ (…) Mehr

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Dieser Artikel stammt aus unserer Sommer-Ausgabe 02/2022: Kreativität. Die schöpferische Kraft in uns selbst entdecken.

„Statt sich von der Zeit unter Druck gesetzt zu fühlen oder an Zeitmangel zu leiden, wird Zeit in der Natur als Fülle wahrgenommen, die entschleunigt, entspannt und offener macht.“

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