Moment by Moment

Porträtaufnahme des tibetisch-buddhistischen Mönchs Yongey Mingyur Rinpoche zur Illustration der Leseprobe "Wege aus der Angst"

Yongey Mingyur Rinpoche: Wege aus der Angst

Wenn es um Furcht und Ängste geht, kennt Yongey Mingyur Rinpoche sich aus: Als Kind litt der 47-jährige tibetisch-buddhistische Mönch und Lehrer unter furchtbaren Panikattacken, die er mit viel Geduld, Meditation und Gewahrsein auf den Atem überwinden konnte. Im Interview erklärt er, wie wir unsere Ängste mithilfe von Meditation überwinden und auch angesichts von Krisen, Kriegen und Katastrophen unerschrocken und mitfühlend handeln können – wir müssen einfach nur damit beginnen.

Interview: Marc Loewer | Foto: Kevin Sturm / tergar.org

Wenn wir uns die gegenwärtige Weltlage anschauen, sehen wir eine Welt in der Krise. Man könnte sagen, die Welt brennt. Wir haben Kriege, Pandemien, die Klimaerwärmung mit katastrophalen Folgen für Milliarden Menschen in den kommenden Jahrzehnten. Wie können wir Vertrauen schaffen oder – wie der Titel deines letzten Buches lautet – in die Welt verliebt sein? In eine Welt, die in einem so erschreckenden und katastrophalen Zustand ist?

Wir alle haben die gleiche wunderbare grundlegende Bedeutung: Jeder hat Potenzial, Fähigkeiten, Weisheit, Begabungen, liebevolles Mitgefühl. Wir tragen also grundsätzlich wunderbare Eigenschaften in uns, doch sie werden manchmal vom egoistischen Denken verdeckt. Das konzeptuelle, selbstsüchtige Denken befindet sich an der Oberfläche, doch darunter liegen liebevolles Mitgefühl, Weisheit und Gewahrsein. Am wichtigsten ist, wann immer ein Problem auftaucht – ich war z.B. auf einem Retreat und bin fast an einer Lebensmittelvergiftung gestorben, und als Kind hatte ich Panikattacken, also viele Ängste und Probleme, es war wie an der Börse, immer hoch und runter, die Welt selbst ist wie eine Börse –, am wichtigsten ist es, loszulassen, und zwar die Bedeutung. Folge nicht von Neuem dem konzeptuellen Denken, um das Problem zu lösen. Um auf deine Weisheit, dein Gewahrsein, dein liebevolles Mitgefühl und deine anderen Fähigkeiten hören zu können, musst du auf eine tiefere Ebene gehen. Diese Fähigkeiten haben auf längere Sicht sehr viel Kraft, mehr als eine Atombombe. Also lass los! Aber gib nicht auf! Nutz jedes Erlebnis, egal ob leicht oder schwer. Es ist ein Lernprozess. Es hilft dir, zu wachsen und voranzugehen. Was wir als Hindernis bezeichnen, verwandelt sich in eine Gelegenheit, ein Problem in eine Lösung. Sieh es aus dieser Sicht! Leg dich unter diesem Gesichtspunkt ins Zeug!

Wie sieht das praktisch aus – wenn wir ein furchteinflößendes Hindernis sehen, etwa die Klimaerwärmung, mit ganzen Landstrichen, die unbewohnbar werden, Familien, die von einem Ort zum anderen ziehen, und sehr viel Leiden? Wie können wir so etwas als Einzelne oder sogar gemeinsam in den Weg verwandeln?

Auf einer übergeordneten Ebene betrachtet, beruht die Welt auf der einzelnen Person. All diese Diktatoren meinen, sie würden die Welt verändern, aber sie wollen sich nicht selbst verändern. Wenn du dich nicht selbst verändern willst, wird die Welt chaotisch. Wer auch immer du also bist, du beginnst damit, dich selbst zu verändern und zu transformieren, sogar in Bezug darauf, dass du für die Umwelt Sorge tragen willst. Wie kannst du persönlich helfen? Wenn der Einzelne sich bemüht, kann sich die Welt ändern, denn ihre Grundlage sind Individuen. Hör daher auf deine innere Stimme, deine Kraft, deine Leistungsfähigkeit, dein Wissen, deine Liebe und dein Mitgefühl. Versuch, die Welt zu verändern! Beginn bei dir!

Und sicherlich haben wir eine Menge Schwierigkeiten: Ängste, Furcht, Konflikte, Hass. Verwandle sie in Gewahrsein, Liebe, Mitgefühl und Weisheit. Ich habe das damals auf Grund meiner Panikattacken gelernt. Mein Vater sagte zu mir: „Bekämpf die Panik nicht! Wenn du sie bekämpfst, wird sie nur größer.“ So habe ich herausgefunden, dass die Panik vor der Panik schlimmer als die Panik ist. Wenn du beispielsweise sagst: „Denk nicht ans Essen!“, was passiert dann? Du denkst noch mehr daran. Es ist ein Phänomen unseres Geistes, dass er das Gegenteil tut. Deshalb: Bekämpf es nicht! Nicht zu kämpfen, bedeutet jedoch nicht: Gib auf! Gib nicht auf! Nutz dein Wissen, dein Mitgefühl und alle anderen Fähigkeiten! Also hilf der Welt, indem du bei dir beginnst. (…) Mehr

Diese Leseprobe endet hier. Möchten Sie weiterlesen? Unsere Ausgabe „Vertrauen in das Leben und in mich selbst.“ können Sie bequem online bestellen.
 

Zur Ausgabe „Vertrauen“ im Shop

Dieser Artikel stammt aus unserer Herbst-Ausgabe 03/2022: Vertrauen in das Leben und in mich selbst.

„Wenn der Einzelne sich bemüht, kann sich die Welt ändern, denn ihre Grundlage sind Individuen. Hör daher auf deine innere Stimme, deine Kraft, deine Leistungsfähigkeit, dein Wissen, deine Liebe und dein Mitgefühl. Versuch, die Welt zu verändern! Beginn bei dir!“

Scroll to Top