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Porträtaufnahme von Bruder David Steindl-Rast

Bruder David Steindl-Rast: Ein Leben für die Dankbarkeit

Kaum ein Name ist so sehr mit dem Begriff Dankbarkeit verbunden wie der von Bruder David Steindl-Rast. Wir hatten die einmalige Gelegenheit und das große Glück, den inzwischen 96-jährigen Benediktinermönch für ein Gespräch zu gewinnen, in dem er über die Praxis des dankbaren Lebens, auch in schwierigen Momenten, spricht. Gleich im Anschluss an dieses Exklusiv- Interview porträtieren wir Bruder David und berichten über die von ihm initiierten Dankbar-leben-Netzwerke in den USA, Südamerika, Europa und in aller Welt.

Interview: Mirjam Luthe | Text: Norbert Classen | Foto: Diego Ortiz Mugica

Was ist das größte Geschenk für jeden Menschen und unseren Planeten, das die Praxis der Dankbarkeit – ein dankbares Leben – offenbaren kann?

Dankbarkeit ist der Schlüssel zur Freude. Und Freude ist das Glück, nach dem sich alle Menschen sehnen – dauerhaftes Glück. Ein Glück, das nicht davon abhängt, ob etwas glückt oder nicht. Könnte es da ein größeres Geschenk geben als diesen Schlüssel, den das Leben uns in die Hand legt?

Kannst du dich an den ersten Moment erinnern, in dem du in deinem Leben Dankbarkeit erfahren hast? In welcher Situation warst du und wie hat es sich angefühlt?

Meine Großmutter hat mir Dankbarkeit beigebracht. Ich muss etwa vier Jahre alt gewesen sein, denn ich durfte ihr schon helfen. Wir fütterten gemeinsam die Hühner und füllten ihre Trinkschalen auf, da sagte sie: „Schau einmal genau zu, wie die da trinken. Mit jedem Schnabel voll Wasser schauen sie beim Schlucken zum Himmel auf und danken Gott dafür. Alles, was es gibt, ist ja ein Geschenk Gottes.“ Das hat mir damals eingeleuchtet, und ich nahm mir vor, ebenso dankbar zu sein wie unsere Hühner.

Was würde fehlen, wenn man einen Tag ohne die Haltung der Dankbarkeit leben würde?

Zwar habe ich noch nie einen Tag ohne Dankbarkeit erlebt, aber ich stelle mir vor, es müsste wie der Tag eines Roboters sein – keine Farben, keine Geräusche, kein Geschmack oder Geruch, vor allem keine Lebensfreude. Was in uns Lebensfreude auslöst, sind ja die Sinneseindrücke, die wir von der Welt um uns herum empfangen. Und diese Freude ist schon Dankbarkeit. Dankbares Leben als spiritueller Weg pflegt und vermehrt einfach diese Freude – durch Achtsamkeit.

Alle Menschen sehen sich mit herausfordernden Momenten und schwierigen Zeiten konfrontiert – fehlende Befriedigung der Grundbedürfnisse, eine schlechte gesundheitliche Verfassung, Beziehungsprobleme, die Erfahrung von Rassendiskriminierung und systemischer Unterdrückung – für einige von uns mehr als für andere –, Konflikte, Krieg, der Verlust geliebter Menschen und der Artenvielfalt, Angst. Was hilft uns in diesen schwierigen Momenten, zur Dankbarkeit als Ressource zurückzukehren?

Das wesentliche Geschenk im Innersten von jedem Geschenk ist Gelegenheit. Alles Übrige ist sozusagen nur die Verpackung dieses eigentlichen Geschenks. Meistens ist es die Gelegenheit, uns an etwas zu freuen, es zu genießen. Wie oft dies der Fall ist, bemerken wir erst, wenn wir beginnen, Dankbarkeit zu üben. Wenn wir dann in Übung sind und mit den schrecklichen Herausforderungen konfrontiert werden, von denen du sprichst, werden wir auch in ihnen die uns geschenkte Gelegenheit erkennen können – zum Beispiel die Gelegenheit, daraus zu lernen, und vor allem die Gelegenheit, etwas für andere zu tun, uns einzusetzen, die Lage zu verbessern. Dadurch, dass wir auch diese schwer zu entdeckenden Gelegenheiten wahrnehmen und beim Schopf packen, werden wir uns dem Leben dankbar erweisen. Auf diese Weise setzt Dankbarkeit die Energie, Kreativität und Einsatzbereitschaft frei, die wir zur Lösung der Probleme, die du in deiner Frage aufzählst, so dringend brauchen. (…) Mehr

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