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Gert Scobel: Kommunikation im Informationszeitalter

Im Zeitalter der Digitalisierung verwechseln wir immer häufiger echte Kommunikation mit dem Austausch von Informationen via Social Media und Messenger-Diensten, so der Philosoph Gert Scobel. Hier geht er der Frage nach, was Kommunikation eigentlich ist oder sein sollte, um ein menschliches Miteinander lebens- und liebenswert zu machen.

Text: Gert Scobel

Manchmal muss man, um verständlich und erfolgreich zu kommunizieren, klar sagen, was zu sagen ist. Zuweilen muss man aber auch Umwege gehen, um klarzumachen, worum es überhaupt geht. Daher ist es mit der Kommunikation so wie mit dem Leben: Vieles erweist sich erst im Nachhinein als notwendig.
Ein solcher Umweg besteht darin, auf etwas zurückzugreifen, was sicher, unverrückbar und fest wirkt – nämlich auf die Dinge. Die Wissenschaften sind Wissenschaften von den Dingen, ihren Bezügen und der Art und Weise, wie sie sich verändern. Dagegen haben Philosophen wie Arthur Schopenhauer darauf verwiesen, dass Materie bzw. all das, was wir als handfeste Wirklichkeit erfahren, in Wahrheit nur eines ist: die kontinuierliche Wirksamkeit dessen, was ist. Aber was ist das, was ist? Natürlich wirken die Dinge als Dinge und nicht nur als Vorstellung auf uns. Sie wirken, weil sie Widerstand bieten. Sie stehen uns von sich aus, ohne unser Zutun entgegen, weshalb wir sie als Objekte bezeichnen, also als etwas, was uns entgegengestellt ist. Was zu der Einsicht führt, dass wir wissenschaftlich gesehen nur in Bezug auf etwas irren können, was uns einen solchen Widerstand leistet. Nur so kann die Wirklichkeit bildhaft gesprochen die Gebäude unserer falschen Vorstellungen niederreißen und uns klarmachen: So nicht! So ist das, was wirklich ist, nicht. Alle anderen Einsichten oder Erkenntnisse, denen sich überhaupt keine Realität entgegenstellen kann, mögen gelten oder nicht, erfunden sein oder nicht, aber sie sind keine wissenschaftlich überprüfbaren Sätze, sondern z.B. Literatur, die ihr eigenes, aber anderes Recht hat. Das, was die Wissenschaften kommunizieren, ist nicht das, was ein Kunstwerk oder ein Roman kommuniziert. Aber die Wissenschaften wären keine, wenn sie nicht auch versuchten, das, was Kommunikation ist, wissenschaftlich zu erfassen.

Theorie der Kommunikation

Die Anfänge einer solchen Wissenschaft oder Theorie der Kommunikation reichen weit über die griechische Antike hinaus bis in das asiatische Denken. Zu allen Zeiten wurde über Sprechen und Rhetorik diskutiert; später dann über die Zeugnisse verschriftlichter Sprache, also über Texte und ihre Interpretation. Die Medien änderten sich immer wieder, vom Buch über das Radio und Fernsehen bis zum Internet. Heute sprechen wir über Diskurse und Daten, gleich in welcher Form oder welchem Medium. Kommunikation wurde, seit es Menschen gibt, übermittelt durch menschliche Stimmen, Fackelzeichen, Rauchsignale, Bilder oder Symbole. All das ist von unterschiedlichen Wissenschaften erschlossen und mithilfe von Technologien der jeweiligen Zeit perfektioniert und erweitert worden.
Die eigentliche Geburtsphase der Kommunikationswissenschaften im modernen Sinn ereignete sich vermutlich jedoch erst an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Soziologen wie George Herbert Mead machten geltend, dass eine neue und sicher auch ideale Gesellschaft eine entsprechende neue Form der Kommunikation erforderlich machen würde. Ausgehend von den Grundlagen der sich bildenden modernen Demokratie und Wirtschaft bedeutete das zunächst, nicht nur jedem Menschen zu erlauben, seine eigenen Einstellungen, Sichtweisen und Argumente anderen mitzuteilen, sondern auch, diese Kommunikation auf möglichst vielstimmige Weise zu erfassen, zu untersuchen und zu beurteilen. Der Weg in die neue Gesellschaft führte daher zwangsläufig auch zu neuen Medien und neuen Verfahren der Medienanalyse. Auf die revolutionäre, lang anhaltende Phase nach der Erfindung des Buchdrucks mit ihrer starken Wirkung auf die Reformation oder die Französische Revolution schlossen sich neue Phasen der Entwicklung an: vom Morsen über das Radio und Fernsehen bis zur Verbindung von Computern zu Netzwerken, in denen zunächst nur Informationen übermittelt wurden, inzwischen aber wie im Livestream direkte Kommunikation möglich ist. Die neuen Medien, so Mead, würden es den immer offeneren und kommunikationswilligeren modernen Menschen erlauben, sich auch über große Distanzen hinweg noch besser in andere Menschen einzufühlen. Durch diese neuen Möglichkeiten würden sich die Menschen zu einer idealen Gemeinschaft weiterentwickeln. (…) Mehr

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Dieser Artikel stammt aus der Herbst-Ausgabe 03/2021: Kommunikation. Sprechen und zuhören mit Wertschätzung und Präsenz.

„Tatsächlich tritt an die Stelle der Hardware der Wirklichkeit zunehmend die ebenso wirksame, unsichtbar im Hintergrund arbeitende Software. Das Programmieren ist an die Stelle des Handwerks getreten.

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