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Panoramaaufnahme eines herbstlichen Waldes vor einem Gebirgszug

Joachim Bauer im Interview: Eine Frage der Empathie

In einer Welt im Wandel wird die menschliche Fähigkeit zum Mitgefühl zunehmend zu einer wertvollen Ressource, die uns helfen kann, aus den Krisen unserer Zeit hinauszufinden, so der Psychoneuroimmunologe und Autor Prof. Dr. Joachim Bauer. Denn Empathie können wir nicht nur für unsere Mitmenschen empfinden, sondern auch für unsere Welt und die Natur, was uns dazu befähigt, unser Verhalten zu ändern und unsere „ökologische Trägheit“ zu überwinden.

Interview: Roman Katzer

Aktuelle Studien zeigen, dass schon der bloße Aufenthalt in der Natur eine heilsame Wirkung für uns Menschen hat. Für welche rein physischen Leiden konnte das bestätigt werden?

Nachgewiesene positive Auswirkungen nach einem ausreichend langen Aufenthalt in der Natur zeigen sich bei Herz und Kreislauf, beim Immun- und Hormonsystem sowie im Gehirn. Konkret findet man eine Absenkung des Blutdrucks und des Stresshormons Cortisol, eine Abnahme von Entzündungsbotenstoffen sowie eine Verbesserung von Asthma und Allergien. Menschen, die sich oft und längere Zeit in der Natur aufhalten, haben ein geringeres Risiko für eine Koronarerkrankung und für einen Herzinfarkt.

Und wie sieht es mit den psychischen Leiden wie Depressionen oder Ängsten aus?

Aufenthalte in der Natur können ängstliche und depressive Symptome reduzieren oder ganz zum Verschwinden bringen. Kernspin- Untersuchungen zeigen, dass ein mehrstündiger Aufenthalt in der Natur im Gehirn die Netzwerke abschaltet, die für das negative Grübeln verantwortlich sind. Tagsüber verbessert die Natur das geistige Leistungsvermögen, nachts den Schlaf.

Nun sollte man bei all dem Guten, das die Natur freigebig für uns tut, meinen, auch wir würden achtsamer mit der natürlichen Welt, in der wir leben, umgehen. Warum sind wir da heute so gefühlskalt oder – wie Sie sagen – ökologisch träge?

Das ist die Frage, die mich veranlasst hat, mein Buch Fühlen, was die Welt fühlt zu schreiben. Wenn es nicht am Wissen, nicht am Mangel an Informationen liegt, dass wir nicht handeln, dann scheint das Problem auf der emotionalen Ebene zu liegen. Wenn Eltern von der Kinderärztin gesagt bekommen, was für das erkrankte Kind zu tun ist, sie die Ratschläge aber nicht umsetzen, dann muss eine Empathiestörung vorliegen. Genau das scheint mir das Problem zwischen Menschheit und Natur zu sein: Wir haben uns emotional voneinander entfremdet.

Bleiben wir zunächst im persönlichen, rein menschlichen Bereich. Sie sagen, Empathie sei uns nicht angeboren, sondern vielmehr als Potenzial in uns angelegt. Könnten Sie Empathie kurz definieren? Ist sie dasselbe wie Mitgefühl? Und was ist gerade in der Kindheit wichtig, damit wir sie entwickeln?

Die Forschung unterscheidet drei Komponenten der Empathie: 1. intuitive, emotionale Empathie, die sich ohne langes Nachdenken einstellt – sie kann bei manchen Menschen allerdings auch fehlen; 2. kognitive Empathie, also die Fähigkeit, sich ganz bewusst in die Situation eines anderen Menschen hineinzuversetzen; und 3. moralisch richtiges Handeln, womit der Wille und die Fähigkeit gemeint sind, jemand anders, der oder die sich in Not befindet, konkret zu helfen. Alle drei Komponenten benutzen unterschiedliche Systeme des Gehirns, die sich aber nur dann entwickeln, wenn Kinder von klein auf empathisch behandelt werden und dann altersentsprechend angeleitet werden, Rücksicht auf andere zu nehmen.

Welche Bedeutung haben in unserem späteren Leben die Kultur, das Zusammensein und der unmittelbare Dialog für die Weiterentwicklung unseres Mitgefühls?

Das kulturelle Leben ist das Biotop der Empathie überhaupt. Viele denken, Kultur, das ist Mozart, Rachmaninow, Goethe, Günther Grass, Berliner Ensemble und die Staatsoper. Das sind nur die Objekte der Kultur oder ihre Werkzeuge! Der Kern von Kultur ist, dass Menschen gemeinsam Musik erleben, in Lesungen miteinander Texte hören und über sie nachdenken oder sich gemeinsam von einem Theaterstück oder einer Oper bewegen oder verzaubern lassen. Kultur ist, wenn wir gemeinsam Feste feiern und tanzen. Das Entscheidende am kulturellen Leben ist das synchronisierte Erleben und Handeln, das zwischenmenschliche Sharing. Indem wir dieses Sharing erleben, vollzieht sich Empathie: Wenn ich mit anderen in einem Jazzclub bin, vollzieht es sich eher emotional. Wenn ich in ein Museum gehe und dann meine Eindrücke mit jemand austausche, kann zum emotionalen auch ein kognitives Sharing dazukommen. (…) Mehr

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Dieser Artikel stammt aus der Herbst-Ausgabe 03/2021: Kommunikation. Sprechen und zuhören mit Wertschätzung und Präsenz.

„Das Entscheidende am kulturellen Leben ist das synchronisierte Erleben und Handeln, das zwischenmenschliche Sharing. Indem wir dieses Sharing erleben, vollzieht sich Empathie.

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