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Porträtaufnahme von Friedemann Schulz von Thun

Friedemann Schulz von Thun: Das Geheimnis gelingender Kommunikation

Wenn es um das Thema Kommunikation geht, kommt man an ihm nicht vorbei: Prof. Dr. Friedemann Schulz von Thun. Der Autor und Psychologe gehört zum Urgestein der Kommunikationsforschung und hat mit seinem Vier-Ebenen- Modell das moderne Verständnis von Sprache und Gesprächskultur nachhaltig geprägt und verändert. Warum ein tieferes, multidimensionales Verständnis der Kommunikation so wichtig ist, erklärt er hier im Interview.

Interview: Norbert Classen | Foto: Maria Feck

Lieber Herr Schulz von Thun, wir müssen reden. Als Kommunikationspsychologe sind Sie Experte für die Verständigung zwischen Menschen und verstehen Sprache nicht bloß als eindimensionalen Träger einer Botschaft. Sie sagen, jede Äußerung oder Nachricht hat vier Ebenen. Wie ist das zu verstehen? Welche Ebenen sind das?

Es ist ein folgenschwerer Sachverhalt, wenn wir einander begegnen und miteinander reden, wir uns sozusagen auf vier Ebenen gleichzeitig begegnen. Das schafft ein ordentliches Kuddelmuddel und erfordert, alle vier Ebenen gleichzeitig zu spüren, im Blick zu haben, darauf reagieren zu können, zu entscheiden, auf welcher Ebene ich reagieren will, welche Ebene ich beiseitelassen will. Das ist schon ein großes Kunststück. Um welche Ebenen handelt es sich? Zum einen, wenn ich etwas von mir gebe, dann steckt da ein Sachinhalt drin, dann will ich eine Information geben. Ein bekanntes Beispiel: Eine Frau und ihr Mann fahren gemeinsam Auto, die Frau sitzt am Steuer, der Mann ist der Beifahrer. Er sagt: „Du, da vorne ist grün.“ Die 1. Ebene: Es ist eine reine Sachmitteilung, es ist eine Information, die blaue Ebene, wie wir sagen. Die kann wahr oder falsch sein und der Empfänger kann sagen: „Nein, stimmt doch gar nicht“, oder: „Ja tatsächlich, du hast recht, es ist grün.“
Wenn ich etwas sage, gebe ich auch immer etwas von mir preis, ob ich will oder nicht. Nicht immer eindeutig, aber der andere hat dann eine Vermutung. Auch an dem Tonfall, an der Formulierung kann er erkennen, wie ich drauf bin, was mit mir los ist. Wenn ich sage: „Du, da vorne ist grün“, kann das heißen: Ich habe es eilig, mir wäre sehr daran gelegen, dass wir schnell vorankommen. Die Selbstkundgabe, das ist die 2. Ebene. Und es gibt das empathische Ohr, das vor allem die Selbstkundgabe heraushört. Es ist ein ganz anderes Ohr als das Sachohr, das fragt: Stimmt das eigentlich?
Hinzu kommt eine dritte Ebene. Ich kann nicht etwas von mir geben und dich ansprechen, ohne zugleich erkennen zu geben, wie ich zu dir stehe und was ich von dir halte. Allein das ich mit dir rede, heißt ja, du bist mir ein würdiger Gesprächspartner, sonst würde ich gar nicht auf dich reagieren, und alles, was du von dir gibst, ignorieren. Aber es ist auch, wie ich spreche: „Du, da vorne ist grün.“ Da könnte die Frau mit dem dritten Ohr, dem Beziehungsohr, raushören: „Du brauchst ein bisschen Hilfe vom Co-Piloten, damit du hier verkehrsgerecht und zügig über die Runden kommst.“ Und wenn sie ein empfindliches Beziehungsohr hat, hört sie einen Vorwurf heraus oder eine Unterstellung von geringer Kompetenz in Sachen Fahrtüchtigkeit und reagiert dann mit: „Hallo, glaubst du etwa, ein Dummchen neben dir zu haben?“ Das ist die dritte Ebene. Wie fühle ich mich behandelt durch die Art, in der du mit mir sprichst? Oha, das wird nun kompliziert, zumal alles gleichzeitig passiert.
Und dann kommt noch eine vierte Ebene. Wenn ich etwas von mir gebe, dann will ich dich erreichen und etwas bei dir erreichen. Dann will ich Einfluss nehmen auf dein Denken, Fühlen und Handeln. „Du, da vorne ist grün.“ Vielleicht lautet der Appell: „Gib Gas, vielleicht schaffen wir es dann noch und kommen noch rüber.“ Der Appell „Gib Gas“ ist nicht ausgesprochen, aber in den Worten ist er für den Empfänger hörbar. Und der Empfänger hat die Wahl, sehr viel zwischen den Zeilen zu hören, was der Sender vielleicht wirklich gemeint hat oder auch nicht. Das heißt, es wird kompliziert, wenn A und B miteinander in Kontakt treten. Die vier Ebenen zeigen uns auf, wo diese Komplikationen liegen.

Was bedeutet das für unsere Gesprächskultur? Ein Beispiel: Heute wird zunehmend Wert auf korrekte Umgangsformen gelegt, bis tief in die Struktur der Sprache hinein, wie wir es gerade beim Gendering erleben. Was halten Sie von der aktuellen Diskussion? Ist es eine Frage der Wertschätzung oder haben wir auch hier wieder mehrere Seiten?

Ich habe Sympathie für das Anliegen, wenn jemand sagt, Sie sollten genderbewusst sprechen und nicht in so einem maskulinen Sprachstil, wie er in Ihrem Buch von 1981 in jeder Zeile zum Ausdruck kommt. Wenn ich mit der Selbstkundgabe, mit dem empathischen Ohr höre, denke ich: Ja, das Anliegen ist sehr nachvollziehbar, es ist mir selbst ein Anliegen, dass unabhängig vom Geschlecht die Gleichwertigkeit aller Menschen in jeder Lebenslage betont wird. (…) Mehr

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Dieser Artikel stammt aus der Herbst-Ausgabe 03/2021: Kommunikation. Sprechen und zuhören mit Wertschätzung und Präsenz.

„Das Geheimnis gelingender Kommunikation ist auf der ganz elementaren Ebene, dass das Gesagte so bei Ihnen ankommt, wie ich es gemeint habe. Dass Sie es nicht in den falschen Hals bekommen.“

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