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Illustration zum Thema Kommunikation

Impfungen gegen die Infodemie

Fake News, Verschwörungstheorien und im Brustton der Überzeugung verbreitetes Halbwissen machen die Kommunikation rund um Corona oft zu einem Spießrutenlauf und einem sozialen Minenfeld, in dem Freundschaften zerbrechen können und Risse quer durch Familien verlaufen. Experten reden bereits von einer Infodemie, gegen die es aber ein Gegenmittel gibt: kritisches Denken.

Text: Birgit Schönberger | Illustration: Musbila

Eine Kollegin besuchte einen alten Studienfreund, den sie lange nicht gesehen hatte. Die Wiedersehensfreude war groß, die alte Vertrautheit stellte sich schnell wieder ein. Doch irgendwann abends nach dem zweiten Glas Wein und ein paar Bemerkungen über manipulierte Studien, das Virus als Biowaffe aus dem Labor und der in scharfem Tonfall gestellten Frage „Hast Du dich etwa impfen lassen?“ dämmerte ihr, dass er offensichtlich Überzeugungen hatte, bei denen sich ihr die Nackenhaare aufstellen. Sie hatte das Gefühl, in einer Falle zu sitzen. Was sollte sie tun? Ihn zur Rede stellen? Ihm ihre Sicht darlegen? Mit Fakten dagegenhalten? Aufstehen und gehen? Fragen, wie er zu seinen Behauptungen gekommen war? Sich für seine Position interessieren? Aber war sie wirklich bereit, seinen Gedankengängen zu folgen, sich darauf einzulassen, ohne sofort innerlich an die Decke zu gehen? Sie wollte das gemeinsame Wochenende nicht gefährden. Aus Sorge vor einem Eklat fing sie an, über etwas anderes zu sprechen, und vermied das Thema Corona bis zur Abreise. Wohl war ihr dabei nicht. Danach war sie tagelang mit der Frage beschäftigt, wie viel Differenz eine Freundschaft aushält.

Eine Freundin bekam von ihrem Sohn regelmäßig Videoclips geschickt mit immer absurder werdenden Verschwörungstheorien. Irgendwann sagte sie: „Verschon mich mit diesen Videos. Ich will sie nicht haben.“ Der Schmerz, sich mit ihm nicht verständigen zu können, bleibt. Ebenso die bange Frage, wie es zu dieser Entfremdung kommen konnte. Auch ich bekam zu Beginn der Pandemie Clips geschickt, in denen behauptet wurde, Melinda und Bill Gates hätten das Virus im Labor erschaffen, um Zwangsimpfungen zu verteilen und damit ordentlich Reibach zu machen. Von Freundinnen, die gut informiert und belesen sind, die ich für ihren wachen, kritischen Geist schätze und von denen ich nie erwartet hätte, dass sie auf so einen Unsinn hereinfallen. Ich war verwirrt und verunsichert. Hatte ich mich so in ihnen getäuscht? Vertraten sie schon länger schräge Ideen, und es war mir nicht aufgefallen? Oder war ich zu unkritisch gegenüber den Mainstreammedien, denen sie vorwarfen, in Sachen Corona propagandistisch und tendenziös zu berichten, ohne echte Aufklärung zu bieten? Aber was war echte Aufklärung? Übersah ich etwas? War ich naiv in meinem Vertrauen, dass die Forscher ihre Daten sorgfältig auswerten und die Regierung ihr Bestes tut, aus den komplexen Ergebnissen Strategien abzuleiten, wobei sie natürlich auch Fehler macht?

Von der Pandemie zur Infodemie

Damit sind wir mittendrin in einem unübersichtlichen Konfliktfeld. Wer entscheidet, was Unsinn ist? Im Falle einiger Verschwörungstheorien ist das leicht nachzuweisen. Kliniken, Krankenkassen, wissenschaftliche Institute und öffentlich-rechtliche Medien bieten Internetseiten mit Faktenchecks an, in denen sie sogenannte Fake News auf ihren Realitätsgehalt überprüfen. Medienwissenschaftler unterscheiden zwischen Falschinformationen, die versehentliche Fehler einschließen, und gezielter Desinformation, die absichtlich täuschen soll. „Jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung, aber nicht auf eigene Fakten. Wir haben nicht nur eine Epidemie, sondern auch eine Infodemie, einen gefährlichen Verlust an Deutungshoheit von Politik, Wissenschaft und Medien“, schreibt Eckart von Hirschhausen, der nicht zu meinen Lieblingen gehört, in einem überraschend differenzierten und klugen Kommentar auf der Seite der Helmholtz-Gesellschaft. Die Frage „Was schützt gegen das Virus?“ wurde abgelöst von der Frage: „Was schützt gegen Falschinformationen?“ An der Impfstoffentwicklung wird gearbeitet. Am 23. September 2020 rief die WHO alle Mitgliedstaaten dazu auf, aktiv gegen die Covid-19-Infodemie vorzugehen: „Gesunde Verhaltensweisen fördern und den Schaden durch Falschinformationen und Desinformationen abschwächen.“ (…) Mehr

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Dieser Artikel stammt aus der Herbst-Ausgabe 03/2021: Kommunikation. Sprechen und zuhören mit Wertschätzung und Präsenz.

So wie unser Körper gegen Krankheiten wie Tetanus und Polio mit Impfungen geschützt wird, können wir auch unser psychologisches Immunsystem stärken.

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