Moment by Moment

Eine Frau spaziert durch das Schilf am Ufer eines Sees

Never Give Up

Um den eigenen Weg mit Mut, Selbstvertrauen und Hingabe zu gehen, müssen wir erst einmal lernen, dass wir scheitern können und wie wir am besten damit umgehen. Dazu gehört es, neue Kraftquellen zu erschließen und unsere Offenheit zu bewahren.

Text: Ursula Richard

Wie kann ein von mir so geschätztes Magazin wie moment by moment auf die Idee kommen, einen Titel wie „Never give up“ zu wählen, war mein erster Gedanke, als ich von der Redaktion die Anfrage erhielt, ob ich für diese Ausgabe den Leitartikel schreiben wolle. „Never give up“ als Teil der US-amerikanischen Kultur, die den Winner schnell bejubelt und den Loser genauso rasch verachtet. Um keinen Preis aufgeben, nicht eingestehen, man könne sich irren oder verloren haben, starr an bestimmten Vorstellungen, Idealen, Wahnvorstellungen festhalten – ja, das ist die toxische Seite von „Never give up“ – der Schatten, die eine Seite der Medaille. Und es ist gut, darum zu wissen und diese Seite im Blick zu behalten, wenn wir uns nun auf die Suche nach der heilsamen machen. Wie können wir mit Mut, Selbstvertrauen und Hingabe unseren eigenen Weg gehen, ohne in die Falle blinden Fest- und Durchhaltens zu geraten? Indem wir, so seltsam es zunächst klingen mag, lernen, dass und wie wir auch scheitern können. Die bekannte buddhistische Lehrerin Pema Chödrön wurde vor einigen Jahren gebeten, vor Absolventen der Naropa University in Boulder, Colorado einen Vortrag zu halten. Als Thema wählte sie die „Kunst des Scheiterns“. Sie sprach darüber, dass in unserer Zeit der Erfolg eine ungemein große Rolle spielt und erfolgreiche Menschen im Allgemeinen großes Ansehen genießen und Studierende diesbezüglich sicher viele Fertigkeiten in ihrer Ausbildung lernen. Aber letztlich, so sagte sie, sei es doch wichtiger, die hohe Kunst des Scheiterns zu erlernen, da uns dies mehr als alles andere helfe, im Leben zurechtzukommen.

Fail, Fail Better, Fail Again

Dieser Vortrag erschien zusammen mit einem längeren Interview mit ihr in einem Buch mit dem Titel Fail, Fail Better, Fail Again. (Die deutsche Ausgabe erschien dann unter dem Titel Vom Glück des Scheiterns.) Von dem Verlag, der das Buch in deutscher Sprache herausgab, wurde ich gefragt, ob ich es übersetzen wollte – und damit begann meine Faszination für das Thema Scheitern. Ich fragte mich, bei welchen Ereignissen in meinem Leben ich am ehesten von Scheitern sprechen würde. Und auch wenn einiges nicht so geklappt hatte, wie ich mir das mal erhofft hatte, Liebesbeziehungen zerbrochen waren usw., hatte ich das Gefühl, dass ich nur bei einer Erfahrung von Scheitern, und zwar richtigem Scheitern sprechen würde. Einige Jahre zuvor hatte ich geträumt, dass ich mit einem Freund gemeinsam ein Meditationszentrum aufbauen würde. Der Traum war so eindrücklich, dass ich dem Freund schrieb und ihm davon berichtete. Er konnte sich gut in diesem Traum wiederfinden. In der Folge fuhr ich zwei, drei Mal in die USA, um an dem Zentrum, in dem er lebte und arbeitete, auch zu praktizieren. Schließlich schafften wir es: Wir fanden Räume und boten mehrmals die Woche Meditation an. Doch was als Traum begonnen hatte, entwickelte sich für mich mit der Zeit mehr und mehr zu einem „Albtraum“. Ich habe das Zentrum schließlich verlassen. Beide haben wir in der Zeit danach sehr gelitten und sind uns eine ganze Weile aus dem Weg gegangen. Mein großer Traum war geplatzt und ich hatte das Gefühl, auf ganzer Linie gescheitert zu sein. – Als die Übersetzungsanfrage kam, habe ich ihm angeboten, das Buch zusammen mit ihm zu übersetzen, da wir als gemeinsam Gescheiterte aus ihren Einsichten sicher einiges lernen könnten. Und das haben wir getan, und es hat sicher dazu beigetragen, dass wir heute wieder gut befreundet sind!

Ein Hindernisparcours

Was aber macht die hohe Kunst des Scheiterns aus, und warum ist es gut, sich mit ihr vertraut zu machen? Ein kleines Kind steht auf wackligen Beinen, macht ein paar Schritte, fällt hin, steht wieder auf, macht ein paar Schritte, fällt wieder hin, steht wieder auf, fällt hin … Es wirkt ganz eins mit seinem Tun und oft auch ganz freudig und neugierig, und mit großer Geduld und Hingabe steht es immer wieder auf, nachdem es gefallen ist, bis es ihm irgendwie langweilig geworden ist und es sich anderem zuwendet. Ich weiß nicht, was ein kleines Kind in dem Moment denkt, ganz sicher nicht, dass es scheitert, wenn es fällt. Es fällt einfach und steht wieder auf. Es hat noch keine Vorstellungen davon, wie es zu sein hätte oder dass es doch langsam laufen können müsste. Indem es tut, was es tut, lernt es laufen. Es ist ganz im Fluss des Geschehens. In diesen „paradiesischen Zeiten“ leben wir als Erwachsene nicht mehr, alles, was wir tun, ist von Vorstellungen und oft genug auch von Urteilen und Verurteilungen begleitet. Auch das, was wir Scheitern oder Krise nennen mögen. Vorstellungen und Urteile sind der Maßstab dafür, was wir als Scheitern wahrnehmen. (…) Mehr

Diese Leseprobe endet hier. Möchten Sie weiterlesen? Unsere Ausgabe „Never Give Up. Mit Mut, Hingabe und Selbstvertrauen den eigenen Weg gehen.“ können Sie bequem online bestellen.
 

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Dieser Artikel stammt aus der Frühjahrs-Ausgabe 01/2021: Never Give Up. Mit Mut, Hingabe und Selbstvertrauen den eigenen Weg gehen.

„Wie kann ich wieder zu Kräften kommen? Was unterstützt mich in der momentanen Situation? Was sind Kraftquellen, zu denen ich Zuflucht nehmen kann?“

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