Moment by Moment

Illustration eines Paares mit Kind am Esstisch, auf der Couch und im Bett

Die Kunst, Grenzen zu setzen

Seit 20 Jahren berät und begleitet Marie Wiese Kinder, Eltern und Familien, die sich zu einem Miteinander auf den Weg machen und den Grenzen und Bedürfnissen jedes Einzelnen mit Respekt begegnen wollen. Im Mittelpunkt steht bei ihr die Frage: Was ist hilfreich in dieser Situation? Inspiriert von ihrem Lehrer Jesper Juul, fallen die Antworten nicht selten überraschend aus – und eröffnen neue Perspektiven auf eingefahrene Situationen.

Interview: Miriam Münch | Illustration: Ardea-Studio

Marie, du beschäftigst dich seit vielen Jahren mit dem Thema Grenzen. Was verstehst du unter Grenzen, und warum sind sie wichtig für das Miteinander in der Familie?

Jeder Mensch hat Grenzen. Diese Grenzen sind wichtig, weil sie uns anzeigen: Jetzt ist wirklich was zu viel. Ich mag nicht noch mehr essen. Mir ist es zu laut. Ich brauche mal Zeit für mich. Ich sehne mich nach Kontakt. An meinen Grenzen erkenne ich, was ich brauche und was ich nicht brauche. Das ist eine wichtige Marke. Und die hat jeder. Warum ist das für das Miteinander in der Familie wichtig? In der Familie treffen mehrere Menschen mit unterschiedlichen Grenzen aufeinander, und dazu kommen auch unterschiedliche Bedürfnisse. Wir haben mehr unterschiedliche Bedürfnisse als gemeinsame. Es ist so wichtig, dass jede Grenze geachtet wird in dem Sinne, dass man sie hört, ernst nimmt und respektiert. Das heißt aber nicht, dass man das Bedürfnis dahinter erfüllt. Wenn z.B. der Zweijährige sagt: „Ich will aber nicht, dass meine Windel gewechselt wird! Ich finde das völlig doof jetzt, ich habe da keinen Bock drauf“, dann ist das eine Grenze. Und deine Grenze ist: „Es stinkt, es quillt überall schon raus, und ich will nicht, dass das auf meinem Sofa landet.“ Das sind zwei verschiedene Bedürfnisse, das schafft einen Konflikt. Hilfreich ist jetzt, die Grenze zu respektieren. Ich kann zu meinem Kind sagen: „Du willst jetzt gar nicht, gar nicht. Das ist deine Grenze. Und ich will das jetzt.“ Weil ich als Mutter oder Vater in der Familie in der Führungsrolle bin. Ich bin die, die sagt: „Jetzt ist es aber so.“ Und dann wechsle ich die Windel. Das ist für das Kind nicht verletzend, weil es merkt, die Mutter hat verstanden, worum es ihm geht. Das ist entscheidend.

Wie unterscheiden sich Bedürfnisse und Grenzen?

Ich glaube, das Bedürfnis ist verschiebbarer. Ein Kind kann nicht unterscheiden: Was ist mein Bedürfnis, und worauf habe ich Lust? Das Bedürfnis kann sein: Ich möchte jetzt ein Eis. Es kann aber auch sein: Ich brauche jetzt echt Ruhe. Das eine hat was mit Lust zu tun, und das andere ist was, was ich wirklich brauche. Das ist die Grenze: Da ist Schluss, jetzt geht es nicht mehr. Ich kann aber durchaus schon früher merken: Ah! Hier fängt meine Grenze an. Da habe ich einen gewissen Toleranzspielraum. Es ist manchmal gar nicht so leicht, die eigenen Grenzen wahrzunehmen, weil wir abgelenkt sind oder weil es jetzt muss, muss, muss. Aber meine Grenzen zu spüren, ist sehr wichtig. Grenzen schützen auch die eigene Integrität. Deshalb ist es so wichtig, die Kinder ernst zu nehmen und sie zu fragen: Wo ist da bei dir Schluss?

Wenn sich alle Familienmitglieder ihrer Grenzen bewusst sind und diese auch schützen: Führt das zu mehr Streit in der Familie oder zu weniger?

Da kommt noch ein anderes Thema rein: Wir wollen mit der Gemeinschaft sein, und wir wollen uns auch selber weiterentwickeln. Ich kümmere mich um mich, oder ich gebe was von mir auf für die Gemeinschaft. Beides ist unser Bedürfnis von Geburt an. (…) Mehr

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Dieser Artikel stammt aus der Frühjahrs-Ausgabe 01/2021: Never Give Up. Mit Mut, Hingabe und Selbstvertrauen den eigenen Weg gehen.

„Es ist manchmal gar nicht so leicht, die eigenen Grenzen wahrzunehmen, weil wir abgelenkt sind (…). Aber meine Grenzen zu spüren, ist sehr
wichtig. Grenzen schützen auch die eigene Integrität. Deshalb ist es so wichtig, die Kinder
ernst zu nehmen und sie zu fragen: Wo ist da bei dir Schluss?“

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