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Dekoratives Bild zum Thema Stille

Ressourcen für den Alltag: Die Stille zwischen den Worten

Unsere Gesellschaft ist laut. Egal ob Töne, Geräusche oder Gespräche, wir sind es gewohnt, hinzuhören und dem Geschehen um uns unsere Aufmerksamkeit zu schenken, so viel Aufmerksamkeit, dass bereits von einer Hyperaufmerksamkeit gesprochen wird, die Wirkung zeigt: Die Überfülle an Impulsen, Signalen und Einflüssen verändert die neuronalen Vernetzungen im Hirn, sie lässt die Welt hektischer werden und produziert Stress. Kein Wunder also, dass das Bedürfnis nach Ruhe und Stille wächst. Was aber genau meint Stille? Und warum ist sie so essenziell?

Text: Anna K. Flamm | Foto: Matthieu Perrier

Wenn ich an Stille denke, bedeutet sie für mich zunächst einmal die Abwesenheit von Störgeräuschen, also von Lärm. Stille entsteht da, wo es mir gelingt, Geräuschquellen und die mit ihnen verbundenen akustischen Reize herunterzufahren. Sie erschöpft sich allerdings nicht im äußerlichen Senken des Geräuschpegels, sondern dehnt sich in einer parallelen Gegenbewegung auch auf das Innere aus. In dem Moment, in dem ich mich gezielt aus dem Trommelfeuer der Geräusche herausnehme, meinen normalen, geschäftigen Alltagsfluss unterbreche, weitet sich nämlich der Raum für ein bewusstes innerliches Wahrnehmen und Präsenz. Damit meint Stille also auch ein entschiedenes Verweilen bei sich, eine Aufmerksamkeit für mich, die an Tiefe gewinnt, weil sie sich konzentriert und wahrnimmt, was fern vom aktiven Handlungsgeschehen in mir selbst passiert.

Mehr als eine Frage von Dezibel

Hierzu eine kurze Geschichte: Einige Leute kamen zu einem einsamen Mönch und fragten ihn: „Was für einen Sinn siehst du in deinem Leben der Stille und der Meditation?“ Der Mönch war gerade mit dem Schöpfen von Wasser aus einem tiefen Brunnen beschäftigt und forderte seine Besucher auf: „Schaut in den Brunnen. Was seht ihr?“ Die Leute blickten in den tiefen Brunnen und meinten: „Wir sehen nichts!“ Nach einer kurzen Weile hieß der Mönch seine Gäste erneut: „Schaut in den Brunnen. Was seht ihr jetzt?“ Wieder blickten die Leute in den tiefen Brunnen. Dieses Mal riefen sie: „Jetzt sehen wir uns selbst!“ Darauf entgegnete der Mönch: „Als ich vorhin Wasser geschöpft habe, war das Wasser unruhig. Jetzt ist es ruhig. Das ist die Erfahrung der Sille und der Meditation. Man sieht sich selbst. Wartet noch etwas.“ Nach einer Weile forderte der Mönch die Leute ein drittes Mal auf: „Schaut in den Brunnen. Was seht ihr?“ Wieder sahen sie hinunter. „Nun sehen wir die Steine auf dem Grund des Brunnens.“ Da erklärte der Mönch: „Das ist die Erfahrung der Stille und der Meditation. Wenn man lange genug wartet, sieht man den Grund aller Dinge.“

Stille tut geistig und körperlich gut

Stille zeigt Wirkung und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Weil ich in der Stille erlebe, dass ich einfach sein kann, weil niemand etwas von mir möchte, wirken Momente der Stille dort, wo Lärm Stress erzeugt, einer hohen Stressbelastung mit ihren negativen gesundheitlichen Auswirkungen entgegen. Wem es gelingt, sich täglich mindestens zwei stille Minuten zu verschaffen, der wird entspannter. Und mehr noch: Wenige Minuten an einem Ort der Ruhe helfen auch dabei, den mentalen Akku wieder aufzuladen. Sie ermöglichen es nämlich, der energieraubenden Reizüberflutung durch eine permanente Geräuschkulisse zu entfliehen, und beugen so Ermüdungs- und Erschöpfungserscheinungen vor. Stille lässt wachsen – neue Zellen in der Hirnregion Hippocampus ebenso wie die Grundvoraussetzungen, um innezuhalten, zu sich zu kommen und präsent zu erfahren, wie reich ein Moment sein kann. Nicht umsonst schreibt Sören Kierkegaard: „Wenn alles still ist, geschieht am meisten.“ Denn in der Stille wird Alltägliches unterbrochen. Ein Umbruch wird zum Ereignis, das einen Möglichkeitsraum eröffnet, Raum und Möglichkeit für kommende Worte schafft, für Kreativität. (…) Mehr

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Dieser Artikel stammt aus der Herbst-Ausgabe 03/2021: Kommunikation. Sprechen und zuhören mit Wertschätzung und Präsenz.

„Das ruhige und passive Wahrnehmen birgt, was dem aktiven, schnellen Agieren abhandengekommen ist: einen Ankerpunkt der Aufmerksamkeit für das eigene Selbst, für die Welt, die mich umgibt, und deren tiefen Grund.

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