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Nicole Baden Roshi | In sich selbst nach Hause kommen


Nicole Baden Roshi ist die Dharmanachfolgerin von Richard Baker Roshi in der Zen-Buddhistischen Soto-Tradition. Nach ihrem Psychologiestudium lebte die heute 42-Jährige vier Jahre lang im Crestone Mountain Zen Center, Colorado, USA, und ist heute stellvertretende Äbtissin des Zen-Buddhistischen Zentrums Schwarzwald. Wir haben mit ihr über Einsamkeit, Alleinsein und Verbundenheit gesprochen.

Interview: Stefanie Hammer | Foto: Tim Schneider

Liebe Nicole Baden Roshi, vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst, mit mir zu sprechen. Du lebst in einer buddhistischen Gemeinschaft. Warum ist Einsamkeit heute so ein relevanter Faktor in unserer Gesellschaft? Und wie können wir darauf antworten?

Ich beginne mal mit der zweiten Frage. Es gibt zwei Metaphern, die gut beschreiben, was der Geist der Meditation in Bezug auf Einsamkeit Neues in unser Leben bringt. Das eine ist das Gefühl, in sich selbst nach Hause zu kommen. Das beschreibt kraftvoll und zutreffend, was in der Meditation emotional, psychologisch, mental und vielleicht auch physiologisch passiert. Damit ist eine Art echtes Zuhause gemeint.

Mir fällt dazu der Spruch ein: „Heimat ist kein Ort, sondern ein Gefühl.“ Diese Wahrheit habe ich durch die Meditation kennengelernt. Und zu Hause ist dann immer da. Diese Verbindung kann die Praxis hervorragend herstellen. Wenn man das einmal für sich entdeckt und entwickelt hat – es ist nämlich beides! –, verändert das alles.

Zu der anderen Metapher muss man wissen, dass wir in der Dharma-Sangha – so heißt unsere Sangha – zwischen Bewusstsein und Gewahrsein unterscheiden. Bewusstsein kennen wir alle gut, kurz gesagt ist es das, wohinein wir morgens aufwachen und was die Welt relativ vorhersehbar macht, sie externalisiert und das denkende Selbst zum Bezugspunkt von allem macht: Ich tue jetzt das und das – das Ich als die oder der Handelnde und Wahrnehmende.

Gewahrsein ist eine andere Struktur des Geistes, so wie der Traumschlaf etwas anderes ist als das Wachbewusstsein – zum Beispiel funktionieren Zeit und Raum im Traum anders. Gewahrsein ist das, was viele als „meditatives Bewusstsein“ bezeichnen, etwa das Gefühl der Verbundenheit, das für viele Leute durch die Meditationspraxis zu etwas Selbstverständlichem wird.

Damit geht einher, was Baker Roshi einmal in einem seiner Vorträge gesagt hat, als ich gerade begonnen hatte zu praktizieren und womit ich dann lange schwanger gegangen bin: Das Gewahrsein wird dein bester Freund und er wird immer da sein. Das kannst du entwickeln: Deine beste Freundin, dein bester Freund ist wie dein Schatten direkt da. Sobald du den Kontakt mit der Präsenz des Gewahrseins wirklich etabliert hast, hast du grundsätzlich das Gefühl, du bist in Begleitung deines besten Freundes.

Diese beiden Metaphern beschreiben zwei Früchte der Meditationspraxis, wo sich tatsächlich im eigenen Selbstverständnis – wie bin ich in der Welt? – etwas grundlegend ändert: Ich bin immer zu Hause und meine beste Freundin ist immer bei mir.

Aus diesem Gewahrsein heraus kann man sich viele Fragen stellen, etwa die, die du zuerst gestellt hast: Warum sind heute so viele Menschen einsam? Einsamkeit sehe ich als eine der Krankheiten der Moderne, ähnlich wie Schlafstörungen. Ich halte beides für Phänomene, die für uns heute so relevant sind, weil wir uns so ausschließlich mit dem individualisierten, auch atomisierten Ich, dem getrennten Ich, dem Alltagswachbewusstsein, identifiziert haben, dass die meisten von uns wenig Zugang zu anderen Strukturen des Geistes haben. Und ich glaube, dass auch der Verlust des Gewahrseins mit dadurch bewirkt wird. (…) Mehr

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