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Traumatherapeut David Treleaven blickt in die Kamera: Beitragsbild Traumasensitive Achtsamkeit | moment by moment 4/2020 Trauma und Transformation

Traumasensitive Achtsamkeit

Kann Meditation eine Retraumatisierung auslösen? Wie gehen Achtsamkeitslehrende mit eigenen Traumaerfahrungen um? Wir haben mit Pädagoge und Traumatherapeut David Treleaven darüber gesprochen, was Achtsamkeitslehrende über Trauma wissen sollten. Und welche Werkzeuge es gibt, Menschen mit Traumahintergrund besser zu unterstützen.

Interview: Norbert Classen
Bild: Darren Miller

David, wie bist du zum ersten Mal darauf gestoßen, dass Achtsamkeitspraktiken bei traumatisierten Menschen auch zu unerwünschten Wirkungen bis hin zu einer Retraumatisierung führen können?

Es war eine persönliche Erfahrung, die Auslöser für meine Forschungsarbeit wurde. 2006 hatte ich, nach zehn Jahren Meditationspraxis, während eines Langzeit-Retreats ein Erlebnis, nach dem ich mich wochenlang von meinem Körper getrennt fühlte. Etwa sechs Monate später begann ich, einige Kollegen und Psychologen zu fragen, was da mit mir geschah. Sie antworteten: „Hast du in der Vergangenheit ein Trauma erlitten? Hast du diese Möglichkeit in Betracht gezogen?“ Nein, das hatte ich nicht. Das war der Startschuss für ein gründliches Studium des Verhältnisses zwischen Meditation und Symptomen traumatischen Stresses. Am Ende schrieb ich darüber meine Doktorarbeit. Diese wurde dann auf Video aufgenommen und erstaunlicherweise sahen ein paar Leute die Aufnahme und begannen, mir E-Mails zu schreiben, wie etwa: „Ich habe ein ähnliches Erlebnis in der Meditation gehabt, weil ich eine Traumageschichte habe.“ So wurde ich zu einer Art Geschichtensammler. Solche Erlebnisse sind sehr seltene Vorkommnisse in der Meditation, aber es ist hilfreich, dass jeder, der Meditation oder andere Formen der Achtsamkeitspraxis anbietet, sich der möglichen Fallstricke bewusst ist.

Du hast die Methode der Traumasensitiven Achtsamkeit entwickelt. Wie erkennt ein Achtsamkeitslehrer, dass bei einem Kursteilnehmer ein Trauma vorliegt?

Es ist nicht einfach, Traumasymptome in einer Meditationssituation oder kontemplativen Umgebung zu erkennen, denn die Leute haben ihre Augen ja meist geschlossen und reden nicht viel. Daher ist es wichtig, dass ein Achtsamkeitslehrer mit der Zeit die Fähigkeit entwickelt, subtile Traumasymptome zu erkennen. Die beste Methode wäre natürlich die Untersuchung des Nervensystems, genau genommen der Aktivierung des sympathischen Nervensystems, was in der Praxis aber meist unmöglich ist. Insofern ist man auf das Erkennen nonverbaler Signale angewiesen, die jemand aussendet und die ein dysreguliertes Arousal anzeigen (eine Störung im autonomen Nervensystem, bei der Kampf- und Fluchtreaktion gleichzeitig ausgelöst werden werden, mit einer enormen Erregung, Anm. d. Red.), oder im Gegenteil eine emotionale Taubheit, bei der es sich dann meist um eine Dissoziation (die Abspaltung oder das Auseinanderfallen psychischer Funktionen, Anm. d. Red.) handelt. Letztere ist ein weitverbreitetes Symptom bei posttraumatischem Stress und ein anerkanntes Diagnosekriterium einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Wenn ich Traumasensitive Achtsamkeit lehre, geht es jedoch weniger darum, dass Meditationslehrer lernen, eine PTBS zu diagnostizieren, als darum, zu erkennen, wenn das Nervensystem eines Menschen aufgrund seiner Achtsamkeitspraxis dysreguliert ist. Die entscheidende Frage ist: Hilft die Praxis dem Betroffenen oder behindert sie ihn? Diese sollten sich Lehrer stets stellen.

Wenn ich selbst praktiziere, wie gehe ich mit so einer Achterbahnfahrt – mit diesem Bild beschreibst du das dysregulierte Arousal – zwischen extremer Gereiztheit und völliger Erstarrung um? Was tue ich, wenn ich in einen solchen Zustand gerate?

Achtsamkeit kann helfen, solche Zustände zu erkennen. Ich treffe so viele Menschen, die nach ein paar Monaten Meditationspraxis sagen: „Mir war vorher nicht klar, dass ich unter einer Dysregulation gelitten habe.“ Achtsamkeit und Meditation werden allerdings nicht immer für Stabilität und Regulation sorgen. Manchmal brauchen wir zusätzliche Werkzeuge und Praktiken, um uns zu unterstützen. Ich nenne mal zwei: Zum einen ermutige ich Menschen, die Dysregulation nicht als persönlichen Fehler anzusehen. Und zweitens entwickeln wir mit den Betroffenen Werkzeuge, die ihnen helfen, sich zu regulieren, wenn sie bemerken, dass sie dysreguliert sind. Das kann etwas so Einfaches wie eine Veränderung der Atmung sein oder auch die gezielte Arbeit mit Bereichen im Körper oder im Umfeld, die unterstützen und die Resilienz stärken. (…) Mehr

 

Diese Leseprobe endet hier. Möchten Sie das vollständige Interview mit  David Treleaven lesen? Unsere Ausgabe „Trauma und Transformation. Wie wir über uns selbst hinauswachsen“ können Sie bequem online bestellen.
 

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Dieser Artikel stammt aus der Winter-Ausgabe 04/2020: Trauma und Transformation. Wie wir über uns selbst hinauswachsen.

„Je länger ich Traumata untersuche, umso klarer wird mir, dass sie zwar ein persönliches Erleben sind, aber dass es stest soziale Bedingungen gibt, die das Erleben dieses überwältigenden Erlebnisses beeinflussen.“

 

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