Moment by Moment

Von Freude und Freundschaft

Sie scherzen miteinander und necken sich, flüstern sich gegenseitig ins Ohr und lachen ausgelassen und herzlich: Wer die Bilder des neuen Dokumentarfilms Mission: Joy – Finding Happiness in Troubled Times sieht, bekommt eine ganz besondere Energie zu spüren. Eine, die an achtjährige Jungs erinnert und fast vergessen macht, dass die beiden Freunde, die sich hier voll kindlicher Freude austauschen, jenseits der Achtzig und zwei der bekanntesten spirituellen Führer der Welt sind.

Text: Anna K. Flamm

Unterschiedlicher könnten sie kaum sein: Der eine wächst in bitterer Armut in einer Township auf, der andere von Mönchen erzogen in einem Palast mit tausend Räumen. Während Desmond Tutu in Südafrika mit zunehmendem Alter immer bestimmter gegen die Apartheid Stellung bezieht und als Erzbischof der Anglikanischen Kirche zu einer prominenten Führungspersönlichkeit im Kampf für Gerechtigkeit und Versöhnung zwischen den Rassen wird, flieht seine Heiligkeit der 14. Dalai Lama als Oberhaupt der Tibeter und des tibetischen Buddhismus mit gerade einmal 24 Jahren vor der chinesischen Besatzung aus seinem Heimatland und geht in Indien in sein noch immer andauerndes Exil, um sich von dort aus friedlich für die politische, religiöse und kulturelle Identität seines Herkunftslandes einzusetzen.

Das emotionale, Boogie-Woogie tanzende „Gewissen Südafrikas“ trifft auf den neugierig-wissenschaftsnahen Lehrer Tibets – und eine bemerkenswerte Freundschaft entsteht. Eine zwischen Pionieren der Friedensbewegung oder mit ihren Worten zwischen „schelmischen Brüdern im Geiste“: „Er nimmt mich ständig auf den Arm“, so der Erzbischof und lacht. „Fast seit unserer ersten Begegnung – weißt du noch? Beim allerersten Mal warst du vielleicht noch ein bisschen zurückhaltend, aber schon beim zweiten Mal hast du mir die Mütze vom Kopf genommen. Man wacht ja nicht morgens auf und sagt sich: ‚Ich werde ein Freund des Dalai Lama.‘ So etwas geschieht einfach. Irgendwann werden einmal Wissenschaftler kommen und das analysieren. Aber ich glaube, auch er ist nicht aufgewacht – morgens um drei – und hat sich gesagt: ‚Ich glaube, ich werde Freundschaft mit diesem Schwarzen mit der großen Nase aus Afrika schließen.‘ Ich glaube, das kam einfach aus dem Herzen. Wenn wir still waren, entdeckten unsere Herzen, dass sie einander vertraut waren.“

Innere Werte verbinden

Und das nicht ohne Grund: Denn trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft und Prägung gibt es viele Gemeinsamkeiten im Leben der beiden. Eine tiefe Gläubigkeit etwa, oder die lange Geschichte des Kampfes gegen ein autoritäres System, die für den einen verbunden ist mit dem schmerzhaften Verlust seiner Heimat und daraus entstandenen Möglichkeiten, sich leidenschaftlich und pazifistisch für universelle Werte einzusetzen, für den anderen mit der Gewissheit „Wenn Menschen beschließen, frei zu sein, wird sie absolut nichts davon abhalten, frei zu werden“ und emotionaler Versöhnungsarbeit, die neue Wege in eine gewaltfreie Zukunft ebnen soll.

Die Glaubensmänner eint dabei die tiefe Überzeugung, dass man die schrecklichsten Umstände, ja alle Widrigkeiten unserer Zeit überwinden und heil aus ihnen hervorgehen kann, solange man sich auf innere Werte besinnt. „Das Problem liegt darin, dass sich unser Alltag und unsere Erziehung ausschließlich auf äußerliche, materialistische Werte beschränken. Um innere Werte kümmern wir uns nicht hinreichend. Wer in dieser Geisteshaltung aufwächst, führt ein materialistisches Leben, und so wird schließlich die ganze Gesellschaft materialistisch. Diese Kultur ist leider nicht in der Lage, die menschlichen Probleme zu lösen.“ „Die materialistischen Werte verschaffen uns keinen Seelenfrieden. Deshalb müssen wir uns wirklich auf die inneren Werte besinnen, auf die wahre menschliche Natur. Nur so können wir persönlich Frieden finden – und mehr Frieden in unserer Welt schaffen.“ „In anderen Worten – was jetzt fehlt, sind Güte und Mitgefühl. Wir müssen mehr auf unsere inneren Werte horchen. Wir müssen nach innen schauen.“ Erzbischof Tutu und der Dalai Lama sind sich einig: Erst mit dem Fokus auf die inneren Werte wird begreifbar, dass das menschliche Glücksstreben seine Erfüllung nicht in einem flüchtigen Gefühl äußerlichen Glücks findet, sondern vielmehr in der Freude als Lebenseinstellung, die von Herz und Geist getragen wird und unserem Dasein Liebe und Sinn verleiht. Denn „Freude schließt Glück mit ein, Freude ist viel umfassender“. (…) Mehr

Diese Leseprobe endet hier. Möchten Sie weiterlesen? Unsere Ausgabe „Wege bereiten für eine lebenswerte Welt von morgen“ können Sie bequem online bestellen.
 

Zur Ausgabe „Wege bereiten für eine lebenswerte Welt von morgen“ im Shop

Dieser Artikel stammt aus unserer Frühjahrs-Ausgabe 01/2022: Wege bereiten für eine lebenswerte Welt von morgen.

„Wir haben jeden Tag die Möglichkeit, unser Leben zu gestalten und umzugestalten. Das ist eine Kraft, die wir freisetzen können.“
– Desmond Tutu

Scroll to Top