Er zählt zu den bedeutendsten Künstlern der Gegenwart: Wolfgang Laibs Werke wurden bereits auf der Biennale in Venedig, im Museum of Modern Art in New York sowie auf der Documenta in Kassel ausgestellt. Seine Kunst entsteht aus Materialien wie Reis, Blütenstaub oder Bienenwachs und spiegelt seine tiefe Verbindung zur Natur und seine geistige Nähe zur asiatischen Philosophie wider – und eröffnet dem Betrachter eine neue Wahrnehmung von Zeit und Schönheit.
Text: Akiko Lachenmann | Foto: Carolyn Laib
Wenn im Frühling rund um Biberach an der Riß der Löwenzahn die Wiesen in einen gelben Blütenteppich verwandelt, schreitet Wolfgang Laib langsam von Blüte zu Blüte. Er geht in die Hocke, biegt die Blume sorgsam über eine Tasse und streift mit geübten Fingerbewegungen die goldgelben Pollen hinein – stundenlang, wochenlang. Konzentriert und voller Hingabe, wie ein Zen-Mönch bei der Gartenarbeit.
Für Laib ist der Blütenstaub von Blumen wie Löwenzahn, von Sträuchern wie Haseln oder von Bäumen wie Kiefern die lebendige Ursubstanz, die Essenz, aus der Leben entsteht. Und was er da seit mehr als 40 Jahren in seiner Heimat erntet, findet sich wieder auf den Böden der großen Museen der Welt. Der Künstler siebt die puderfeinen Pollen mit rhythmischem Klopfen auf den Boden und hinterlässt nach vielen Stunden in gebückter Haltung tiefgelbe Felder, die das Auge kaum fassen kann. Das bisher größte Feld maß sieben mal acht Meter. Das war 2013 im MoMA in New York. Doch in diesem Jahr bleibt die kostbare Ernte in der Region: Das Kunstmuseum Stuttgart widmet dem 73-Jährigen von Juni bis November eine Retrospektive unter dem Titel The Beginning of Something Else.
Eigentlich ein schöner Anlass, den Künstler in seiner Heimat in Oberschwaben zu besuchen. Doch dazu wird es nicht kommen. Anfragen über das Museum versanden, auch die übermittelten Fragen bleiben unbeantwortet. Das Museum muss in diesen Tagen viele Absagen an Medienvertreter formulieren. „Es gab Künstler wie Ragnar Kjartansson oder Tobias Rehberger, die man von einem Pressetermin zum nächsten geschickt hat“, sagt Ulrike Groos, Leiterin des Kunstmuseums. Das sei mit Laib nicht möglich. „Er ist scheuer, zurückhaltender.“
Eine Einheit von Kunst und Leben
Ein paar wenige Originaltöne des Künstlers sind in einem eigens für die Ausstellung gedrehten Dokumentarfilm über ihn zu hören. Die Filmemacherin Maria Anna Tappeiner, die vor allem für ihre Künstlerporträts und Kulturdokumentationen bekannt ist, durfte Wolfgang Laib ein Jahr lang bei seiner Arbeit mit der Kamera in Biberach und Asien begleiten und kennenlernen.
„Ich finde bei seinem Werk spannend, dass es in der Zeit und gleichzeitig komplett aus der Zeit gefallen ist“, sagt Tappeiner. „Du hast so eine Entschleunigung, ich finde das eigentlich sehr angenehm, und auch, dass Kunst und Leben bei ihm eine Einheit bilden. Das heißt, du kannst den Menschen Laib nicht vom Künstler Laib trennen.“
„Wenn man meint, als Individuum könne man alles tun“, so Laib im Film, „ist das ein großes Missverständnis und führt zu dem, was wir heute haben. In den meisten Kulturen im Laufe der Menschheitsgeschichte war es eher umgekehrt: dass man versucht, ein Teil von einem größeren Ganzen zu sein. Da bin ich selbst nur irgendwie dabei, aber nicht der große Held. Die europäische Kultur hat sich, so wie ich das sehe, in eine Sackgasse hineinmanövriert. Natürlich
sind großartige Dinge passiert, vor allem auf der materiellen Ebene. Aber jenseits der materiellen Ebene ist es eine Tragödie.“ (…)