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Ani Choying und ihre Band auf der Konzertbühne

Ani Choying Drolma: Nonne und Popstar

Nicht nur in ihrer Heimat Nepal ist die singende tibetische Nonne Ani Choying Drolma bekannt wie ein Popstar. Sie hat verschiedene CDs veröffentlicht und es sogar in die US-Charts geschafft, sie gibt weltweit Konzerte und hat 2008 in Deutschland für den musikalischen Rahmen beim Besuch des Dalai Lama gesorgt. All ihre Einnahmen steckt sie in lokale soziale Projekte, etwa ihre Wohlfahrtsstiftung für Nonnen oder die von ihr gegründete Arya-Tara-Schule für Mädchen und junge Frauen.

Text und Interview: Norbert Classen

Kathmandu, 17:00 Uhr, Freiburg, 12:15 Uhr – der Zeitunterschied zwischen Nepal und Deutschland beträgt vier Stunden und 45 Minuten. Hier ticken nicht nur die Uhren anders: Ich freue mich, dass das Interview mit Ani Choying endlich stattfindet, nachdem unser erster Skype-Termin verschoben werden musste, weil sie im Bergkloster Nagi Gompa an einem feierlichen Ritual für Tsikey Chokling Rinpoche teilnehmen wollte, der 40 Tage zuvor verstorben war. Begrüßt werde ich von ihrer Assistentin, die mich willkommen heißt und mir nach kurzem Kampf mit der Technik erklärt: „Ich hole jetzt Ani-la.“ Im Vorfeld habe ich gelernt, dass Ani kein Vorname, sondern die Anrede für eine buddhistische Nonne ist und Ani-la die höfliche Form, in der zugleich Respekt und herzliche Wärme mitschwingen. Etwas, das ich sofort verstehe, als sie vor mir sitzt – auch über 7.000 Kilometer Entfernung hinweg hat Ani Choying eine beeindruckende Präsenz, ein gewinnendes jugendliches Lächeln und zugleich einen messerscharfen Verstand.

Vom Fluch und Segen, ein Mädchen zu sein

Im Gespräch erzählt Ani Choying von ihrer Kindheit, die durch häusliche Gewalt und Ungerechtigkeit geprägt war. „Schon als kleines Kind wollte ich eigentlich bloß glücklich sein, nicht verprügelt oder diskriminiert werden. Ich wollte mit anderen Kindern spielen, aber das war leider unmöglich. Als Mädchen musste ich die ganze Hausarbeit erledigen, meiner Mutter helfen und meine Brüder auf dem Rücken tragen. In der Familie bezog immer ich die Prügel, nur weil ich ein Mädchen war.“ Es war ihre Mutter, die ihr einen Ausweg aufzeigte: das Leben im Kloster. „Mir wurde klar, dass ich als Nonne weder heiraten noch mit meiner Familie leben musste. Das war meine Chance, und ich habe keinen Moment gezögert, sie zu ergreifen“, erinnert sie sich. Im Alter von gerade einmal zehn Jahren entfloh sie der Gewalt und dem Leid in ihrer Familie und fand Zuflucht in Nagi Gompa, dem Nonnenkloster des Kagyü- und Nyingma-Meisters Tulku Urgyen Rinpoche, der ihr Lehrer wurde. Er war es, der ihr half, auf ihre schlimmen Erfahrungen als verdeckten Segen zurückzublicken: „Ich will häusliche Gewalt nicht beschönigen“, betont sie. „Aber in meinem Leben hat mir diese Erfahrung geholfen, einen anderen Weg zu finden, einen Ort, an dem ich mich wohl und sicher fühlen kann. Wenn ich diese traumatisierende Erfahrung nicht gemacht hätte, hätte ich wohl nie daran gedacht, ins Kloster zu gehen. Und wenn ich nicht dorthin gegangen wäre, weiß ich nicht, ob ich die Person hätte werden können, die ich heute bin. Rückblickend ist dies eine buddhistische Art, Negativität in etwas Positives zu verwandeln.“

Die beste Version seiner selbst werden

Ani Choying sagt von sich selbst, sie sei ein mutiger, rebellischer Mensch, aber auch sehr stur. Zum Glück fand sie in Tulku Urgyen Rinpoche einen liebe- und verständnisvollen Lehrer. „Er glaubte an mich und meine Fähigkeit, all das zu erreichen, was ich im Leben erreichen wollte. Er zeigte mir auch, wie stolz er darauf war, dass ich so unkompliziert und mutig war. Er gewährte mir eine Zuflucht, in der ich mich stets wohl, sicher und geliebt fühlte. Das hat mich auf die schönste Weise wachsen lassen und mich dazu gebracht, die Dinge der Vergangenheit richtig wahrzunehmen, damit ich die beste Version meiner selbst werden konnte: die Qualität und Stärke zu entwickeln, die in mir liegen, um das beste Werkzeug zu werden, mein eigenes Leben mit Bedeutung zu füllen und gleichzeitig in der Lage zu sein, das der Welt um mich herum zu zeigen.“ Ani Choying ist ihrem Lehrer unendlich dankbar für die Freiheit, in der Welt umherzureisen und Musik zu machen. „Das war sein schönstes Geschenk“, sagt sie heute. Wie sie die beiden Seiten, den Popstar und die Nonne, unter einen Hut bringt, möchte ich von ihr wissen. „Darüber denke ich gar nicht nach“, sagt sie bescheiden. „Wenn ich Menschen sehe, die sich freuen, mich zu sehen, freue ich mich auch. Ich freue mich darüber, dass ich sie glücklich machen kann!“ (…) Mehr

Diese Leseprobe endet hier. Möchten Sie weiterlesen? Unsere Ausgabe „Never Give Up. Mit Mut, Hingabe und Selbstvertrauen den eigenen Weg gehen.“ können Sie bequem online bestellen.
 

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Dieser Artikel stammt aus der Frühjahrs-Ausgabe 01/2021: Never Give Up. Mit Mut, Hingabe und Selbstvertrauen den eigenen Weg gehen.

„Erfahrungen sind nur Erfahrungen. Es kommt darauf an, wie wir sie bewerten.“

www.choying.de

Ani Choying hat für uns das Mitgefühls-Mantra gesungen, das Sie als Audiodatei über unseren Newsletter anhören und herunterladen können.

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