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Margret Rasfeld: Lernen vom Leben

Margret Rasfeld ist eine Pionierin im Bildungsbereich und weiß, was es heißt, Lehrerin zu sein. Die langjährige Schulleiterin und Mitbegründerin von „Schule im Aufbruch“ blickt auf 40 Jahre Berufserfahrung zurück und wurde mit dem Aufbruch Award 2020 ausgezeichnet. Im Dezember 2021 sprachen wir mit ihr darüber, wie die dringend nötige Transformation unseres Bildungssystems jetzt vorangebracht werden kann.

Interview: Stefanie Hammer | Foto: Jens Sage

Bereits seit September 2015 gibt es 17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklung, die die UNO verabschiedet hat. Kennen Schüler, Studenten, Eltern und Lehrer die überhaupt?

Diese 17 globalen Ziele sind sehr bedeutsam, weil sie eine von allen Staaten verabschiedete Zukunftsvision sind. Obwohl das vierte Ziel „Quality Education“ heißt und sich die Fachleute einig sind, dass Bildung der Schlüssel zu allem ist, sind sie erschreckend wenig bekannt, und zwar sowohl diese 17 Sustainable Development Goals (SDGs) als auch das 2015 von der UNESCO beschlossene entsprechende Weltaktionsprogramm „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE – hier downloaden) und der nationale Aktionsplan vom Juni 2017, der uns alle auffordert, Bildung neu zu denken. Der offizielle Weg steht in Amtsblättern, die aber kaum jemand liest, wird vielleicht auf einer Schulleiterfortbildung erwähnt, aber in der Regel nicht so, wie es gemeint ist, sondern im Sinne von Umweltbildung, entwicklungspolitischer Bildung oder insgesamt als Ergänzung des Bestehenden. Da kommt natürlich Widerstand: „Was sollen wir denn noch alles machen?!“

Ich habe letztes Jahr sehr viel über Zoom gearbeitet und dabei am Anfang abgefragt: Wer kennt die SDGs, den nationalen Aktionsplan usw.? Durchgängig hatten rund 95 Prozent noch nie davon gehört. Aber wenn Lehrer davon hören, ist die Motivation groß, etwas zu tun, weil nicht nur eine Erlaubnis da ist, sondern sogar ein Auftrag. Der neuste Stand ist: 2020 ist das Weltaktionsprogramm der UNESCO ausgelaufen und wird nun als „BNE 2030“ weitergeführt. Da stehen revolutionäre Sachen drin. Entwickelt aus den Erfahrungen, die man seit 2015 – bzw. in Deutschland seit 2017 – damit gemacht hat, nämlich: Die Themen, die sich hinter den SDGs verbergen, wie Klimakrise oder das Schwinden der Biodiversität, kommen jetzt schon öfter im Unterricht vor, sie sind ja mittlerweile auch überall in der Öffentlichkeit präsent, aber dafür, dass die Kinder und Jugendlichen Ideen entwickeln, handeln und die Erfahrung machen können, dass sie nicht ohnmächtig sind, sondern in der Lage, die Welt zu verändern, wird die Zeit nicht eingeräumt. Es ist ganz klar, dass Aufklärung allein nicht reicht, damit wir unser Verhalten ändern.

Dann gibt es noch ein fünfseitiges Papier, das die Bildungsminister der Welt im Mai 2021 auf der Berliner Online-Konferenz „Learn for our Planet – Act for Sustainability“ als „Berliner Erklärung“ verabschiedet haben – das geht noch weiter.

Du siehst also schon eine gewisse Aufklärung, aber die Möglichkeit, dass die Schüler das an der Schule selbst erfahren und gestalten können, ist noch nicht da?

Ja, meist kommt es nur von einigen Lehrerinnen und Lehrern, die dazu eh eine Neigung haben. Studien haben ergeben, dass 40 Prozent der Lehrer gerne stärker Nachhaltigkeitsthemen in den Unterricht einfließen lassen würden, aber die Bücher, Arbeitshefte und Curricula – die sind ja immer auf etwa zehn Jahre angelegt – sind noch anders. In den Curricula gibt es zu Beginn einen allgemeinen Teil. Da stehen sehr innovative Dinge drin: politische Bildung in allen Fächern, Persönlichkeitsentwicklung im Zentrum, die Lernkultur muss sich verändern, individualisiertes Lernen, Mitbestimmungsrechte für Schüler. Darunter kommen dann Fachinhalte, die überhaupt nicht dazu passen: Säuren und Basen – drei Stunden; soundso zwei Stunden … Da musst du als Lehrer schon sehr kreativ sein, um das in aktuelle Zusammenhänge zu übersetzen. Das ist schon möglich, aber viele arbeiten am Limit, vor allem wenn sie in alten Strukturen arbeiten oder jeden Tag viele Stunden und Klassen haben. Dann nehmen sie natürlich die Schulbücher. Und die sind ein großes Hemmnis, weil sie den Eindruck vermitteln, man müsste so ein Buch durchkriegen. Oder die Eltern denken: Die haben ja gar nicht alles gemacht! Meist fehlt die Zeit, mal die Gesetze zu nehmen, die ja über den Curricula stehen, und zu fragen: Was heißt das jetzt? Wie können wir das umsetzen? Wo gibt es schon was, was wir nutzen können? Eigentlich bräuchten Schulen, die aufbrechen wollen, eine Transformationsbegleitung. Meist haben sie dazu jetzt einen Tag im Jahr, an dem sie ihre Schule nicht nur weiterentwickeln, sondern auch transformieren sollen. (…) Mehr

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Dieser Artikel stammt aus unserer Frühjahrs-Ausgabe 01/2022: Wege bereiten für eine lebenswerte Welt von morgen.

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